Jedes Gedicht fängt mit einem kurzen Bild an, das ich mit dem ersten Ausdruck schnell festhalte. Jedes Gedicht fasst einen tieferen Begriff zusammen, den ich bis zum letzten Ausdruck langsam entfalte. Jeder Tag fängt mit neuer Hoffnung im Herzen an, die mit der Morgendämmerung erwacht und sich regt. Weil ich geboren wurde, trag ich in mir ein hohes Ziel und mein Leben einen Sinn, der mich wechselwirkend trägt: Den Willen Gottes zu finden, zu begreifen, Ihm zu dienen, auch und vor allem in dieser modernen Zeit Ihn zu erfassen; bei all den Herzesthemen, die uns zerreißen, den übergeordneten Gral nie aus dem Blicke zu lassen. Die Morgentauben grüßen euphorisch den neuen Tag - an ihrer Inbrunst tut meine Tatkraft sich durstig laben. Bis der Nachtgeist mich wieder in seine Ruhe hüllt, will ich durch Erleben mehr Klarheit mir gesichert haben. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
der Dichtung
KURZE BEGEGNUNGEN
Begegnungen, die kurzen und die vergänglichen, weil intensiv, mutieren zu unendlichen Erinnerungen. Nicht die Länge der Geschichte, sondern die Tiefe der ihr innewohnenden Gedichte, weckt die ewigen Empfindungen. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
WONNENBRAND
Manchmal willst Du ein Gedicht weiter schreiben, doch es ist schon zu Ende - Du warst nur der Kugelschreiber, niemals selbst der Schreiber. Du spürst an Dir fremde Hände doch die Berührung ist intim und der Griff ist Dir wohlbekannt. Ohne Vorwand nimmt er Dich ganz in Besitz und befreit Deine Sehnsucht ihres letzten gedanklichen Gewand. Und jetzt würdest Du so gerne weiter machen, doch der Höhepunkt der Wonnenbrände wurde schon überschritten, überschrieben. Dreh Dich sanft um. Seitenwende. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DICHTEN OHNE ERWARTUNG
Ich habe gelernt, als Dichter nie nach Ruhm zu trachten, möchte ich meine Aufgabe, das Innenleben zu beobachten, richtig erfüllen, unbeeinflusst davon, wie andere mich betrachten, ob Geliebte, Käufer oder Spötter - darauf darf ich nicht achten. Wer zum Geist des Zukunftsmenschen sprechen will, darf heute nichts erwarten - weder von Freunden noch von Feinden - sondern säen, dann gehen aus dem Garten. Empfinden, schreiben, sterben und warten. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DAS UNGEWÖHNLICHE
Nimmer endende Geschichte Dreitausendsechshundertundfünfzig Gedichte Und mehr Gedanken, als ich zählen kann, Ein Innenleben, von dem ich erzählen kann, daß es ein nimmer endendes Neigen ist zum Emporsteigen, weil Geist eigen und artig ist Und weil die Ewigkeit täglich entsteht, während Dein Leben täglich zuneigen geht. Wer Zauber ernten will, der säet, der säet… Ungewöhnliches, weil Eigenartiges. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GESCHENK AN DIE NACHT
Weil es mir eine Freude macht, aus sonst keinem anderen Grund, habe ich mir meinen kleinen und großen Spaß ausgedacht, täglich in Dichtform einigermaßen mein Innenleben zusammenzufassen, mein Geschenk an die Nacht. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
TÄGLICH ALLES
Wenn jedes Gedicht ein Schritt ist, welchem Gedanken nähere ich mich? Wenn jeder Gruß ein Abschnitt ist der menschlichen Reise ins Friedensreich, wenn ich da ankomme, sehe ich Dich? Wenn jede Trennung ein Tritt ist in den Hintern, weil Du weiter gehen musst, weiter suchen musst, hast Du noch Lust? Wenn jeder Tag ein Zeitlimit ist, erfüllst Du täglich alles in Deiner Brust? Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ECHO DER UNSTERBLICHKEIT
Wenn ich wie das Herz wäre, würde ich 100.000 Mal pro Tag meine Liebe, die grobe und die hehre, hinaus senden, einen Heiratsantrag, an das Leben, dessen endlose Fragen uns umgeben, dessen Geheimnisse in uns hervor ragen als Gewissensbisse, als Empfindungsschübe, die uns plagen, wenn wir uns seinem Drängen widersetzen. Das Leben, dessen magische Kräfte als Freude und Zuversicht uns besetzen. Du bist‘s, dem ich mich anhefte, herzklopfend 100.000 Mal am Tag, sterbliches Echo der Unsterblichkeit. Und was meine ich mit jedem Herzschlag? Immer wieder nur: Dankbarkeit. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GESTERN VERSCHWAND
Gestern verschwand so schnell und wird es täglich wieder tun. Heute ist gestern’s flüchtiger Appell an uns, nicht träge uns auszuruhen. Denn heute ist das fixe Gesicht von gestern einmalig im Entstehen. Wir schreiben vor Mitternacht das Gedicht und so wird es die Welt für immer sehen. Was für ein Moment der Moment ist, was für eine Macht seine Macht hat - den Wachen macht er zum Opportunist, dem Schlafenden bleibt er ein leeres Blatt: Bitte nicht wenden ohne zu verwenden. Ungeschrieben. Ungenau und unbeschrieben. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EINFACH WEITER SCHREIBEN
Das Gedicht endete so schnell, So plötzlich, brauchte keinen Reim, Ein Leben, intensiv und hell, Bald ist der Geist wieder Daheim. Meine allergrößte Schwäche Ist die lebenslange Unfähigkeit, Zuzugeben meine größte Schwäche: Die unheilbare Einsamkeit. Kein Fremdland kann einsetzen, Was in der Heimat fehlt - Kein Fremdgang kann ersetzen, Was Dir die Ehe stehlt. Und währenddessen endet Das Gedicht insgeheim. Dein Schmerz hat Dir geblendet - Es hatte doch seinen Reim. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung