Weil es mir eine Freude macht, aus sonst keinem anderen Grund, habe ich mir meinen kleinen und großen Spaß ausgedacht, täglich in Dichtform einigermaßen mein Innenleben zusammenzufassen, mein Geschenk an die Nacht. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
der Nacht
DIE BÄUME SEHEN ALLES
Sie könnten fast Menschen sein Wie sie da stehen, still, im dunklen Wald. Wieso sagen sie nichts? Wir sind allein, Der Winter ist kalt, die Nacht ist alt, Die Wolken öffnen ihren Mund dem Mondschein, Geistern oben im Himmel, unten in Schneegestalt. Ein Bach, ein ungenaues Tier, ein Grenzstein. Die Bäume sehen alles, sie sind der Wald. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DAS NEUE, JA
Und dann… begann irgendwann das neue Jahr Nicht ganz am 1. Januar weiß ich fürwahr weil ich - und das Neujahr gefühlt nicht - da war. Also vielleicht davor? Ob das alte Jahr Zeit verlor? Und das neue schon alt war? Oder erst in den Tagen danach… denn in den Tagen danach ist keiner mehr wach. Das Tor steht unbewacht und wie ein Dieb in der Nacht beginnt die neue Zeit. Bist Du bereit? Es ist soweit. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
HALTE MICH EIN ZWEITES MAL
Halte mich ein zweites Mal bevor wir uns trennen Wir werden uns nie wieder sehen so wie wir uns jetzt kennen Die Fäden der Veränderung werden ihre Wege weiter rennen Wir öffnen ständig neue Bahnen mit allem, wofür wir sonst brennen Mit tiefster Intimität also nun sollten wir uns gegenseitig scannen Ein letztes Mal voll treffend uns die Kosenamen gegenseitig nennen Die ganze Nacht wach bleiben unseren Traum nicht verpennen Wir überleben die Trennung eh nicht lass uns heute uns aneinander verbrennen. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
FERN VON GESTERN
Ein langer Weg trennt mich vom letzten Jahr. Seltsam, es war ja erst gestern - Doch die Nacht, der Schlaf, die tausend Träume zwischen den Mitternachtsglocken und dem Morgenstern waren eine riesengroße weitenumspannende Brücke, ein großer steinerner Bogen, über den ich schritt wie ein Reisender auf der Suche nach Klarheit und Glücke von Gipfel zu Gipfel sich tapfer durchkämpft über Täler und Schluchten und tiefe, weite Klüfte stets die Gegenwart sucht. Gestern war vor tausend Jahren, letztes Jahr ist vergangen. Seelenfenster auf! Ich lüfte! Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
HAUSGEMACHTES WEIHNACHTEN
Alt wie Wein Wird das Jahr nun Süßer auch? Reif mit dem zwölften Monat Und elf Erinnerungen Wir teilen lachend die Freude Schweigend den Schmerz Des Jahres. Teilen ist heilen Herzen sind Kerzen Dezember, Lichtspender Weihnacht, hausgemacht. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EINSAM IST DAS DICHTEN
Einsam ist die Dichterin, der Dichter, Ein Mensch unter tausend Gedanken. Und Du, seine Richterin oder Richter, denk doch zuerst an dieses Innengeflüster, bevor Du anfängst, mit ihr oder ihm zu zanken. Wir sind mehr als Rasse oder Farbe, mehr als Geschlecht oder Gender, mehr als Kultur oder Klasse oder Behinderung, Orientierung, Bildung, mehr als politisches Agenda. Wir sind die Nacht, wir bergen Geheimnisse, von denen sogar wir noch nichts wissen, bis sie raus schlüpfen, namens Gedichte. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
UNSRE KLEINE NACHTMUSIK
Wenn wir wollen, können wir, sollen wir stöhnend in Mollen Liebe machen. Schlafen und aufwachen und weitermachen und lachen, in unsrer Nachtmusik verschollen. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE STERNE UND WIR
Die nachtkalten Graphitaugen der Fernen schielen abgehoben nach uns, nach der Vergeblichkeit unseres Tuns, unserer Sehnsucht nach ihnen, Sternen. Distanziert, wie einsam müssen sie sein? Denken sie oder denken wir? Wer Billionen Jahre lebt, ist ein Souvenir des Verlangens gefangen im All ganz allein, denken wir. Aber sie denken es sich anders. Wer keine Zeit hat, sich lang zu binden, lang zu teilen, lang Tiefe zu empfinden, ist dessen Leere, Einsamkeit, nicht besonders? Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE NACHT IST MEINE
Die Nacht ist meine Freundin Sie trennt sich von mir jeden Morgen versöhnt sich mit mir wieder jeden Abend schenkt philosophische Ohren meinen Sorgen. Wie eine Wand, undurchdringlich schiebt sie sie zwischen mich und gestern macht mich bereit für die Zukunft täglich als wären sie und meine Seele Schwestern. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung