SCHÖNE DINGE

Die kleinen schönen Dinge
Vorbei flatternde Schmetterlinge
Kunstvolle Brücken über winzige Täler
Märchenerzählerinnen und -erzähler
Morgendämmerung in einer neuen Stadt
Musizierende erwischen auf frischer Tat
Fremde Menschen lesen
Unsichtbare märchenhafte Naturwesen
Gedanken, die uns mit Höherem verbinden,
die kurz kommen und schnell verschwinden
Das Empfinden von Zuhause-sein
im geteilten Blick mit Deinem Schatzilein
Aber das Beste von allem ist
das Ahnen, daß Gott ist.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

FREMDE STADT

Ich laufe durch die Stadt.
Ich spaziere durch die Gefühle der Passanten
Und sehe diese an ihrer Statt.
Ihre Gefühle sind Weltwanderer, sind Migranten.
Die Menschen hier sind mir zwar fremd und neu,
doch ihre Gefühle gleichen mir Bekannten, detailgetreu.

In den einen Augen unzählige Fragen;
In den anderen: Ich habe hier das Sagen;
In anderen: Du bereitest mir Unbehagen,
Du hier? - Wie konntest Du das wagen?

In den einen Augen tastende Unsicherheit;
In den anderen Sehnsucht nach Wahrheit;
In anderen Erkenntnis der Mitmenschlichkeit;

In den einen Augen klarer Verbindungsverzicht:
Ablehnung oder Gleichgültigkeit? Weiß ich nicht.

Doch manche sind einfach nur scheu.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

AN GOTT DENKEN

Sonnenstrahlen gehen leise spazieren
morgens tief im leeren Laubenwald,
heben die Köpfe, die zitternd frieren,
und schieben sie in jeden dunklen Spalt
zwischen Wurzel, Äste und Zweige hinein,
grüne Blätter gibt es hier nicht mehr
oder noch nicht, die Januarluft ist rein,
ich sitze allein im Bus, allein ungefähr,
drei Mitfahrende sind auch hier drinnen,
meine Aufmerksamkeit gilt nur dem Wald,
sonnengestreichelt, und mein Sinnen
gilt Gottes allumfassendem zarten Gewalt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

STROMWANDLER

Spürst Du auch manchmal diese Liebe,
stärker als Sucht, stärker als Triebe?
Diese überwältigende Liebe in Deiner Brust -
für was oder wen, ist Dir nicht bewußt.

Sie weckt Dich nachts zum nachdenken,
sie macht Dich Tags zum Träumenden,
sie erfasst manchmal urplötzlich Dein Herz
mit einer Druckkraft intensiver als Schmerz.

Du willst sie in Taten spenden und empfangen,
sie in allen Augen sehen, als inniges Verlangen.
Woher? Wohin? An wen, was? Wofür?
Dieses umfassende, alles hebende Gespür.

Als wären wir, unruhige Weltenwanderer,
gleichzeitig im Einsatz als Stromwandler
einer liebevollen Kraft von weit weit oben,
die sich verankern will auf irdischem Boden.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

UMFANG DES DRANGES

Ein schnelles Rein und Raus,
oder auch langsam und lang -
Die Welt ist mein Haus,
immer bereit zum Empfang
des uferlosen Umfanges
des unersättlichen Dranges
des heimsuchenden Hanges.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung 

DASSELBE LÄCHELN

Wenn Du genug Länder besucht hast
Wenn Du genug Lächeln gesucht hast
und überall wie ein ewiges Darlehen
immer wieder dasselbe Lächeln gesehen
und zurückgespiegelt hast, na dann…
Vielleicht ist da wirklich etwas daran,
wenn gesagt wird, daß wir alle irgendwann
wieder eins werden werden im Gottesplan.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GROSSES VERLANGEN

Nicht die Größe des Universums,
sondern die Tatsache, daß alles Stoffliche
zusammen trotzdem nicht groß genug ist,
um das Herz zu füllen, ist das Erstaunliche.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ALS MENSCHEN TREFFEN

Wo können wir uns noch als Menschen treffen?
Nicht als Spiegelbilder und Verteidiger der Interessen
von Nationen, Kulturen, Völkern, Ethnien, Rassen,
Religionen, Gendern, Orientierungen, Ständen, Klassen,
sondern einfach als Menschen.
Höher als alle diese Identitäten.

Verbarrikadiert im Grabenkampf der Identitäten,
verloren wie Amnesiekranken in Gruppen-Rivalitäten,
gibt es nur noch wenige die für das kämpfen,
was wir tatsächlich im Grunde alle sind: Menschen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

FREMDBLICKE

Die Augen der Welt
sie saugen Dein Selbstvertrauen -
Fremdblicke in Fremdenblicken
der Nacktheit. Mit Fremdschauen
kommt Fremdschämen des Selbsts;
stets nachschauend, ob sie zuschauen,
Du gibst denen zu viel Macht über Dich,
die Dir Deine Freiheit sehend verbauen -
sie strafen Dich mit Blicken, die Streife fahren
wie Polizisten plötzlich aus den Blauen
heraus, Dich im Scheinwerfergericht ihrer Augen
fangend, sie werfen den Schein auf und klauen
Dir - wenn Du es zulässt - Deine Einsicht,
Deine Zuversicht, ja, Dein Selbstvertrauen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE VIELEN MENSCHEN IN DER STADT

Die vielen Menschen in der Stadt,
die täglich sich seelisch wappnen gegen
die vielen Menschen in der Stadt,
treffen in allen Ecken, auf allen ihren Wegen,
die vielen Menschen in der Stadt.
Dann ignorieren, irritieren, verletzen, erregen
die vielen Menschen in der Stadt
sich gegenseitig, ohne den Verdacht zu hegen,
die vielen Menschen in der Stadt:
dieses Sich-aneinander-Reiben ist ein Segen
für die vielen Menschen in der Stadt,
denn nur so können wir das Miteinander pflegen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung