ZUG NACH VORN

Grauer Morgen
Trauer, Sorgen,
ziehen ihre Flusswege
schwermütig und träge
Die Brücke ist aber breiter
Das Herz fährt weiter
hoffnungsvoll und heiter.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

SOMMERNACHTERREGEN

Und dann hast Du uns erlöst,
plötzlcher Regen in der Sommernacht -
Pitipatapitipata, sanft, aufgelöst
wie eine Stimme, die stöhnt und lacht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DER HOFFNUNG DIE HOFFNUNG GEBEN

Heute hängt sehr viel Hass in der Luft
Ich fühle es und fasse es nicht
Das Herz fühlt sich an wie eine Gruft,
liegt in der Brust wie ein Gewicht
und tastet und langt und schreit und ruft
und betet und ringt nach dem Licht.

Heute schnappt die Hoffnung nach Luft,
WIR müssen der Hoffnung die Hoffnung geben
und überbrücken selbst mit Zuversicht die Kluft
zwischen dem Tod und dem Leben -
Manchmal ist die Hilfe nur ein zarter Duft
von Adventskerzen und Tee und Reben.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GENERATIONENÜBERGREIFEND

Wir fangen bei jeder neuen Generation
wieder von Null an,
als hätten wir nicht bereits
in der jeweils vorherigen Generation
alles gegen Hass getan
und seinen Anpassungsanreiz.

Sisyphus war kein Mensch,
er ist die Menschheitsgeschichte -
Die Hartnäckigkeit unserer Tendenz
zu reinkarnieren unsere Bösewichte.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

TAFELBERG

Tafelberg
Mahlzeit
Unsichtbare Riesen
Götterspeisen

Menschenzwerg
entweiht
diese Felsen und Wiesen
wo Wolken kreisen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

 

WENN SCHNEE EINEN FLUSS BERÜHRT

Wenn Schnee einen Fluss berührt
Wie Gedanken zurückgeführt
Zum Ausgangsort und -zustand
Durch der Natur unsichtbarer Hand,
Denke ich darüber nach:
Ob Meer oder See oder Bach,
Ort des Geschehens bleibt gleich,
Weiher, Fluss, Ozean oder Teich,
Eisig und hart, flüssig, durchlässig, weich,
Es ist alles das magische Wasserreich,
Wo alles stets in Bewegung bleibt,
Mit und gegen alles fließt und sich reibt,
Ständig ankommt, ständig weitertreibt -
Ne, Ort des Geschehens bleibt nimmer gleich.

Kein Gedanke kehrt unverändert zurück
Zum unveränderten Entstehungsheim.
Schlimmer oder besser geworden ein Stück
Findet sich alles wieder zusammen im Schlussreim.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

WECHSELJAHRESZEIT

Wie Du schneist, schmilzt
Erfrierst dann taust
Meine Neugierde erhitzt
… desinteressiert schaust.

Dein Winter ist warm
Deine Wärme ist kalt
Deine Kälte ist lauwarm
Sehnsucht ist ihr Inhalt.

Fremde kommen und gehen
Das ist ihre Eigenart
Auf Wiedersehen…
Heute hart, morgen zart…

Der Herbst geht in den Winter
Zögerlich ein
Liebe steckt dahinter
Gnadenlos, rein.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DER FRÜHLING UND DER SPÄTLING

Der Frühling und der Spätling,
so wird ihnen oft berichtet,
sehen und fühlen sich ähnlich -
einer singt, was der andere dichtet.
Wo unterscheidet sich Gestalt vom Inhalt?
Der eine spiegelt, was der andere malt.
Das Herz bleibt gleich, ob jung oder alt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DES HERBSTES ERSTE GEFALLENEN BLÄTTER

Daß sie gelebt haben,
vielleicht geliebt -
Daß sie gestrebt haben,
Sehnsucht gekriegt -
Daß sie die Welt kannten
und Abschied auch -
Vor Freud und Leid brannten,
Gefühl im Bauch -
Daß sie ihr Alles gaben
mit ganzer Kraft -
Daß sie uns Tolles gaben,
schöne Landschaft -
Sehn wir ihnen an,
wie sie friedlich da liegen,
braun, welk, ihre Arbeit getan,
friedlich abgeschieden.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

FLIEGEN ÜBER WOLKEN

Ein Flügelpaar schwingt reglos durch die Luft
Die Ferne ruft und ruft und ruft… und ruft.
Ein’ brennend’ Sehnsucht überbrückt die Kluft
zwischen Vorstellung und Duft

Ein Flugzeug kennt die Einsamkeit nicht -
Ist Reisen ein Drang, eine Freude oder Pflicht?
Von unten sind die Wolken drückend und dicht
Von oben sind sie mir bloß ein Gedicht

Ein Haufen Gedanken, vielförmig, ohne Ziel
in die wie Blitz plötzlich eine Empfindung einfiel
aufwirbelte, neuordnete, verdichtete: Regenspiel.
Wenige Wolken erzeugen in mir Gedanken viel.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung