WIR SIND NICHT ALLEIN

Ein Geist geht
Ein Geist kommt
Ich spüre es mit der Empfindung

Ich kann es Dir nicht erklären
Du kannst es mir nicht erklären
Ich spüre es nur mit der Empfindung
und Du auch, kostet‘s auch Überwindung,
spürst es fein

Wir sind nicht allein.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

ÜBER KURZ ODER LANG

Ich glaube, wir leben von Phase zu Phase, von Kapitel zu Kapitel. So entwickeln sich unsere Leben. Jedes Kapitel hat etwas, was wir brauchen, und jedem Kapital fehlt etwas, was wir brauchen.

Wir können immer nur nehmen und genießen, was das Leben uns zum jeweiligen Zeitpunkt anbietet. Manchmal hält es lang, vielleicht sogar bis zum Lebensende kurz oder lang, aber manchmal hält es nur bis zu der nächsten Wendung oder bis zum nächsten Seitenwechsel.

Aber trotzdem wird auch dieses zeitweilig tief befriedigen auf seiner eigenen Art und Weise über kurz oder lang. Alles tut kurz gut. Oder auch lang. Wir erleben, wir lernen, wir verändern uns, oder wir werden verändert, ob wir es wollen oder nicht, oder merken oder nicht, über kurz oder lang.

Che Chidi Chukwumerije

EINFACH WARTEN

Ich habe gelernt
zu warten
Ich habe gelernt
Das Herz ist ein Garten

Alles hat die Zeit betreut
Alles, was einen Mensch bewegt
hat die Zeit empfangen und gepflegt
auch das, was er später bereut

Manches hat sie wachsen gelassen,
dies habe ich gelernt -
beim Hoffen, Fürchten, Lieben, Hassen -
aber manches hat sie entfernt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DIE ERINNERUNG AN MACHT

Der arme Amfortas - Der will
seinen Sturz immer noch nicht akzeptieren
oder begreifen. Im gefallenen Still
schickt er an, über andere zu regieren,
herrisch, herrschsüchtig, herrenmenschlich
und wird immer frustrierter, denn die Welt
lässt sich nicht mehr lenken. Letztendlich
beißt er zahnlos nicht mehr, nur bellt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

SPRECHEN IST TUN

Ich liebe Sprache -
Sie kann so viel
mit so wenig tun.

Ich fürchte Sprache -
Sie kann so viel
mit so wenig vertun.

Ich geize mit Sprache -
Sie kann um so viel
mit so wenig sich vertun.

Ich hüte Sprache -
Sie kann so Vielen
mit so wenig alles antun.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DICHTEN

Ich liebe Sprache -
Sie kann so viel
mit so wenig belichten.

Ich fürchte Sprache -
Sie kann so viel
mit so wenig vernichten.

Ich achte Sprache -
Sie kann so viel
mit so wenig anrichten.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

AM ANFANG GEWUSST

Alles passiert immer am Anfang,
Hierauf achte allezeit.
Der Ausgang sieht aus wie der Eingang;
Denk nur an den Sonnenauf- und -untergang.
Die Empfindung sieht deutlich den wahren Zustand
eines Menschen, dann meldet sich der Verstand
und sät Verworrenheit.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

SCHMERZ UND VERZEIHUNG

Verzeihung -
Ich bitte nicht um sie
Ich biete sie Dir an
Verzeihung. Rache nie.
Auch wenn es weh tut
Vor allem wenn es weh tut
Denn wenn es nicht weh tut
Braucht es keine Verzeihung
Ist es keine Verzeihung
Fühlt es sich leer an.
Verzeihung
Weil es weh tut
Verzeihung.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

KLEINER

Und die Welt wurde kleiner und immer kleiner
Bald gab es nur noch da Deiner und hier meiner
Dein Bereich, mein Bereich, und ihrer und seiner
Der Einzelne wurde alleiner und immer alleiner
Je enger verbunden wir wurden desto gemeiner
Je äußerlich feiner desto innerlich unreiner
Und wer sucht die Schuld dafür bei sich? Keiner.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

TIEFER ALS BLUT

Viele werden kommen und wieder gehen,
viele Ausländer aus Ländern und Begriffen,
denn fremdsein liegt nicht nur im Aussehen -
das besonders Fremde sitzt nicht in Schiffen.

Es sind Gedankenformen und Empfindungen,
die uns anfassen, auffassen und erfassen,
die uns einspannen in neue Verbindungen -
die wir nicht fassen - eher sie uns wieder verlassen.

Ihr denkt, daß Blut das tiefste ist…
Ihr irrt gewaltig; tiefer verankert als Blut
liegt der Boden, wo das Tatsächliche sitzt:
Fremdes, Eigenes, Geist, Hab und Gut.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung