Ich habe Afrika in Afrika verloren und in Europa wieder gefunden. In mir. Europa fand ich nie. Wie eine Geschichte, die immer weiter erzählt wird doch niemals so existierte. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Afrika
FESTHALTEN
Ein Ozean liegt zwischen uns
Als wäre es ein Gespräch ohne Worte
In fremden Gedanken positioniert
In einer Ecke meines Verstandes, die ich
Nicht orten kann –
Und der Ozean liegt einfach da,
Eine schwere tote Masse, ein Brei,
Ein ertrunkener unerhörter unausgesprochener Schrei!
Das Blut in meinen Adern füllt sich an wie Blei
Denn ich hadere mit Deinem Schicksal
Und kämpfe, um den Glaube an Dich nicht
Zu vergessen, Afrika.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ZIELSCHEIBE
Als wäre meine schwarze Haut
eine über das Gewissen der Welt
dünn gezogene dicke Zielscheibe
sehe ich, auf jedem Kontinent, egal
welcher Hautfarbe, eine zweite Haut,
eine Polizeiuniform, und bin ihre Zielscheibe
Und Immer wenn sie trifft, schweigt
dumpf das Gewissen. Es möchte eigentlich
reden, aber es kann nicht atmen
Sprachlos. Weil die Polizei die Stärksten
vor den Schwächsten schützt. Sprachlos
denn der Widerstand kann nicht mehr atmen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE FARBEN DER ERDE
Meine Gedanken reisen nach Hause
in die Vergangenheit – Alle, die
mit mir einst die rote Nigerianische Erde
mit ihren nackten peroxidischen Sohlen druckten, die kommen meinen
heimreisenden Gedanken heute Nacht entgegen
und fragen mich, wie es denn ist, dort,
in der Zukunft, in einem Fremdland.
Ich sage ihnen, der Himmel ist blau,
die Sonne ist milder aber es ist die selbe Sonne,
die die äquatoriale Luft entzündete,
und unser Mond lebt auch hier mit mir.
Nur die Erde, die rote Erde, sie fehlt…
Hier ist der Boden braun
und ich bin, nach zehn Jahren, immer noch dabei,
mich daran zu gewöhnen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ALLES WAS GLÄNZT
Sie gaben uns eine geschriebene Verfassung
Haben selber aber keine
Sie verhinderten den Austritt Biafras
Wollen aber selbst ihren eigenen Brexit aus der EU
Sie labbern uns ständig Demokratie an
Schließen aber selbst ihr eigenes Parlament
Sie brachten uns ihre Religion
Treten selber scharenweise aus ihr heraus
Wer sind hier die Dummen?
Sie oder wir?
Wer die dunklen krummen?
Wir glauben alles
Schlucken alles
Folgen alles
Ahmen allem nach –
Wir armen.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
DER TROMMLER
Ich trommle auf Dein Herz
Wie in Afrika, manchmal, nachts
Aus der Ferne landeinwärts
Trommelmusik Geister weckt
Und kündet und, manchmal, nachts
Neue Seiten in Dir entdeckt
Jeder hat eine Seite
Die er nur nachts enthüllt
Weilt die Sonne in der Weite
Hat die See das Land gekühlt
Trommle ich suchend auf Dich los
Rufend afrikanisch auf Dich los
Bis mir die Seite sich zeigt
Die in Dir zum Schweigen neigt.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
ÜBERLEBEN
Auf einmal ergriffen mich fremde Hände!
Wo ist meine Familie?
Was sind diese kalten Wände?
Auf einmal lag ich in einem Boot
Wir sind zu Hunderten
Nackt, gekettet, Schweiß, Blut! Kot.
Nein ich kann es mir nicht vorstellen
Nein ich kann es mir nicht vorstellen
Auf einmal war ich Andern machtloser Besitz
Meine Nachfahren werden nie kennen
Ihrer Ahnen Antlitz…
Nur mich.
Jetzt muß ich
Stark sein!
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
MITTEL ZUM MEHR
Manchmal blicke ich über
den Teich nach Hause
Mit Sehnsucht in mir
Nach Hause
Nein mit mehr als nur
Sehnsucht
Aber ich glaube, eben
Das ist Sehnsucht
Zwei Herzen beseelen
Ach meine Brust
Aus Lust wird Frust
Aus Frust wird Lust
Je mehr ich hier ankomme
Desto mehr
Fehlt mir ein Land südlich
Vom Mittelmeer.
Saftiges grün
Rote Erde
Akzeptanz
Pflicht es werde.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung