Wenn ich der deutschen Gesellschaft alles gebe, alles schenke, was ich bin, was ich als Mensch wirklich im Kerne bin, werde ich dann zum Teil der Gesellschaft? Ist deshalb die Angst?: Denn wenn ich zum Teil der Gesellschaft werde, hätte ich die Gesellschaft nicht dadurch verändert? Aber hätte die Gesellschaft mich nicht auch verändert, wenn ich zu einem Teil von ihr werde? Wieso denn die Angst? Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
akzeptanz
MINORITÄTEN
Jede Gesellschaft hat einen Saum,
einen Rand an seinem Außenraum,
weder Abschaum noch nur Schaum;
ein festes Glied, aber klein. Ein Daumen.
Ein Schweigen mit feinem Gaumen.
Alles sehend, alles riechend, alles hörend
Alles meidend, und ergänzend, und störend
Von allem ausgeschlossen, zu allem dazugehörend.
Eine Anklage gegen das Weltgewissen
Eine Infragestellung unseres Begriffs von Wissen:
Warum ist jede Gesellschaft hin- und hergerissen
Zwischen Toleranz und Haß?
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE SAAT IST AUFGEGANGEN
Die Saat ist aufgegangen
Der Haß ist aufgestanden
Das Licht ist ausgegangen
Die eingehämmerten Zerrbilder
Generationenlang verdrehte Schilder
Ihre Augen werden täglich wilder
Es war eine Lüge die ganze Zeit
Sie wussten ganz genau die ganze Zeit
Von den Taten ihrer Eltern Eltern Bescheid
Sie wollen sie in heutiger Zeit wiederholen
Sie lassen freudig die Lachmasken fallen
Wagen sich endlich raus mit den Krallen
Man schämt sich für sie
Denn selbst schämen sie nie
Was noch beschämender ist – und wie.
Wie überbrücke ich gezwungene Ferne?
Wie tue ich herzlich, was ich tue gerne?
Laterne, Laterne, Sonne, Mond & Sterne.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
SCHATTEN AM STRASSENRAND
Wir sind nicht so anders wie Ihr
Wenn Ihr genauer hinschaut
Keine Angst. Kommt. Kommt näher
Ihr seid uns bereits vertraut
Wir Euch aber nur auf Papier
Jene Schatten am Straßenrand
Das sind keine Fremden
Es gibt keine Fremden auf diesem Land
Es gibt nur Mitmenschen
In anderem Gewand
Wenn Ihr grüsst, grüsst uns auch
Lehre uns Euer Land lieben
Erweckt in uns Eure Sitte und Euren Brauch
Denn die Dinge, die Euch betrüben
Bewirken bei uns dasselbe Gefühl im Bauch
Wer will denn nicht nach Oben streben?
Und das Eigene beschützen
Und weiterentwickeln und Wertes zurückgeben?
Auch ohne uns gegenseitig zu duzen
Ergänzen und bereichern wir uns das Leben.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
MUTTER UND SOHN
Im Worte Mutter liegt das Wörtchen Mut
Im Wort Versöhnung schwingt irgendwo der Begriff Sohn
Und heute habe ich den Mut gefasst
Und mich mit meiner Mutter versöhnt
Es hat Weh getan und es tat gut
Ich habe gelernt, Schmerzen auszusprechen
Statt schweigend mich abzuwenden
Ich habe gelernt, Vergebung zu geben
Und entgegen zu nehmen
Ich habe gelernt, daß sich zu entschuldigen
Nur die halbe Strecke ist –
Du musst Dich aber dann auch verändern
Ich habe gelernt, daß Rache
Ob bewußt oder unbewußt ausgeführt
Mehr schadet als sie richtet
Aber wenn wir Liebe in unseren Herzen tragen
Werden diese Schäden zu unseren Lehrern…
Und vieles kann man nicht verändern
Alles kann man nicht haben
Auf einiges muss man sich verzichten
Anderen zu liebe…
Und eine kleine Tat der Versöhnung
Kann in Einem etwas bewirken
Was seine ganze Welt verändert
Und ihn seinen Qualen entlässt…
Selbst wenn ich jetzt sterben würde
Sterbe ich mit Frieden in meinem Herzen.
– Che Chidi Chukwumerije.
ES WIRD WIEDER
Das Leben ist Verlust und Niederlage
Und deren Akzeptanz
Das Leben ist Veränderung und Wandel
Und Bewegung und Kohlentanz
Ist Wachsen und Reifen
Und älter und weiser werden
Es ist trauern und weinen und nachdenken…
Und lachen… denn es wird alles wieder gut werden.
– Che Chidi Chukwumerije.
