An einem Bahnsteig zu stehen, allen Wartenden ins Gesicht zu sehen - Wo wollen wir alle einzeln hingehen? Züge kommen, im Handumdrehen scheiden wir uns, wie viele Ehen, steigen um ins nächste Geschehen und werden uns alle nie wiedersehen. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Bahn
MORGENLÄCHELN
Die ersten Tagträumer tauchen tapfer in den tautrunkenen Tag Auch so früh am Morgen ist es erstaunlich wie viele Mitreisenden Dir ein müdes Lächeln zurück schenken, wenn Du mutig Dein Herz öffnest und jedem Augenkontakt mit einem vermutlich ebenso müdes Morgenlächeln verewigst. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
UNWETTER
Bahnwahnsinn
Heftiges Unwetter
rüttelt alle Reisepläne,
macht alle Reisende zu Obdachlosen.
Die Natur beruhigt sich
Die Reise geht weiter
Die Reisenden kehren zurück nach Hause
Die Obdachlosen bleiben
Die Frage nach dem Lebenssinn.
Heftige Schicksalsschläge
schütteln alle Lebenspläne,
machen manche Mitmenschen zu Obdachlosen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ÖFFENTLICHES
Der Herr mit seinem Fahrrad
Am Bahnsteig, Feierabend
Die drei Obdachlosen
Lauthals argumentierend
Smartphone und Tabletts
Lesen den Menschengeist
Entziffern ihn allmählich
Diese U-Bahn entgleist
Menge voller Individuen
Versichert. Verunsichert.
Hauptsache sich nicht verplappert
Hauptsache sich nicht verkleckert
Hauptsache sich nicht entblößt
Vor allem sich nicht verraten
Als Mensch und als Unmensch
Das macht man nur im Privaten.
– Che Chidi Chukwumerije.
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
