LAUFE LEISE DURCH DIE LINDEN

Laufe leise durch die Linden
Wende Dich mit den Winden
Verbinde Dich ohne Dich zu binden
mit den Bäumen
und Du wirst Dich finden.
In der Natur Zauberräumen
gibt es keine Blinden.

Es gibt nur die, deren Herzen offen sind,
und die, die verloren haben ihr inneres Kind.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

VON BÄUMEN LERNEN

Der Baum stand da
Als wäre er nicht da
Und war für alle da

Der Mensch stand da
Als wäre er wirklich da
Und war für niemand da

Nur für sich selbst.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE BÄUME SEHEN ALLES

Sie könnten fast Menschen sein
Wie sie da stehen, still, im dunklen Wald.
Wieso sagen sie nichts? Wir sind allein,
Der Winter ist kalt, die Nacht ist alt,
Die Wolken öffnen ihren Mund dem Mondschein,
Geistern oben im Himmel, unten in Schneegestalt.
Ein Bach, ein ungenaues Tier, ein Grenzstein.
Die Bäume sehen alles, sie sind der Wald.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GETRENNTE WINTERWEGE

Sie werden jetzt
ihre getrennten Wege gehen
Die, die ihr Blättergewand ausziehen
und die, die unverändert aussehen
Getrennt durch den Winter
wie unzählige geschiedenen Ehen
Bis im Frühling erfüllt wird
das Versprechen des „Auf Wiedersehen“
Geh im Wald spazieren
Bewundere dieses Geschehen
Diese zwei Bäume im Winterrad
Wie Fremde unterschiedlich drehen
Reden nicht mehr miteinander
schweigend, nur noch die Winde wehen…
Dennoch bleiben sie die ganze Zeit
ruhig nebeneinander stehen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

NEUE BLÄTTER

Schulter an Schulter
stehen die Bäume
während sie ihren Weg gehen
durch die saisonalen Zeiträume

Und alle Menschen
die an ihnen vorbei gehen
Wie schnell hören sie auf,
wir auf, zu bestehen?

Die Gesellschaft wandelt
doch ihre Wurzeln bleiben bestehen
Die Gesellschaft bleibt unverändert
doch neue Blätter kommen und gehen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MEHR AUTOBAHNEN

Friedhof der Bäume
Stiller Asphalt
Jede Fahrt ist laut klagend
ein Trauermarsch angeschnallt
Schneise wie Grab
führen zum nächsten Aufenthalt
Manche sagen höhere
manche sagen Natur-Gewalt
manche sagen: Es muß doch
einen anderen Weg geben. Halt!

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

EINE ERDE ZUM TEILEN

Ich frage mich wie die Bäume heißen,
die lange vor uns
und immer noch unter uns
schweigend lebten,
bis sie in dieser Oktobersaison gefallen werden
schnell und trocken
um Platz zu machen für unseren Wünsche.

Ich frage mich, ob sie Namen hatten –
nicht Artennamen –
sondern ihre eigenen persönlichen Namen,
jahre-, jahrzehnte-, jahrhundertelang,
nur den unsichtbaren Wesenhaften bekannt,
die sie liebten und bewohnten,
und einem kindlichen Menschenherz irgendwo.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LIEBESBÄUME

… und da standen sie
In einander verschlungen
ein Liebespaar –
Raum und Zeit überwunden.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LIEBE UND ABSTAND

Im Boden
halten sie sich
Oben
küssen sie sich
Aber auf dem ganzen langen Weg
zwischen diesen beiden Stationen
berühren sie sich nicht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

STILL BEOBACHTENDE BÄUME

Ich ging im Walde
und fragte mich
ob die Bäume
uns unterscheiden farblich

Sehen die Bäume
es uns an
ob wir hier stammen
oder aus fernem Land?

Reden sie mit uns
in einheimischer Sprache
die nur jene verstehen,
die halten Wache?

Oder sind sie uns allen
gleichermaßen fremd,
während wir Körper tauschen
als wäre Fleisch ein Hemd?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung