RÜCKKEHR INS DUNKEL

Und so kehrt der Totalitarismus zurück
als heldenhafter Ritter in glänzender Rüstung –
und die dankbaren Völker auf ihrer Brüstung
aus äußerer Angst und innerer Verwüstung
schenken ihm jubelnd ihre Freiheit zur Begrüßung
und fassen nicht ihr Glück.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

EINGESPERRT

Unterdessen werden älter die Kinder
und Eltern zu Kindern
und die Eltern sind den Kindern die Lehrer
und die Kinder sind den Eltern auch Lehrer
und alle werden täglich
um Jahre und Jahrzehnte
über Nacht älter. Tag für Tag.

Und es wurde morgen
und es wurde Abend –
noch ein weiterer Tag.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DER GESCHMACK DES ENDES

Wie oft schon liefertest Du
den zweiten Schlag
und bereutest es bereits
am nächsten Tag?

Wie oft schon ertrugst Du
den letzten kuss
und littest, denn es schmeckte so
sachlich wie ein Muß?

Irgendwas hat sich geändert
Die Welt wird nimmermehr dasselbe sein
Das alte ist vergangen

Kein’ zweiten Schlag, kein’ letzten Kuss
Zieh einfach weiter mit neuem Geist
und reinem Verlangen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

JEDEN ABEND EIN NEUER MORGEN

Der Tag neigt sich zum Ende
Ich bin geneigt, zu denken
er sei einer wie alle anderen vor ihm
seit wir uns alle gegenseitig von einander
distanzieren. Doch irgendetwas
war anders heute, irgendwas Kleines,
ich weiß nicht genau was. Aber ich
habe mich ein bißchen verändert.
Die Erde drehte mich um, und
machte neue Dinge mit mir.
Nur, komisch: So geht es mir
jeden Tag am Ende des Tages
in dieser endlosen Reihe
gleichförmiger Tage.
Ich ziehe abendlich eine neue Seele aus.
Also sind sie doch gleich? Denn
täglich geschieht genau das gleiche:
Ich entdecke mich ein bißchen mehr.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

VER-RÜCKT

Coronaverleugner? Psychiatrie.
Quarantäneverweigerer? Psychiatrie.

Staats- und Regierungskritiker…
Psychiatrie?

Andersdenkender?
Meinungsäußerer?
Mensch.

Sind wir alle verrückt geworden?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

APRIL IN DER QUARANTÄNE

Mein Herz ist ein Loch
aus dem der Frühling springt
und überrascht mich

Ich stehe am Fenster und schaue zu
wie er aufblüht und vorbei läuft
wie meine alte Jugendliebe.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

KLEINE ERWACHSENEN

Die Kinder machen gut mit
als können sie besser lesen
die Seele der Schöpfung und
die Herzen der Erwachsenen
als wir die ihren…

Sie schenken uns Lächeln
wenn wir nachdenklich werden
heitern uns mit ihrem Blödsinn auf
und suchen uns ab und zu auf, einfach
nur um uns kurz in die Augen zu schauen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

RÜCKEROBERUNG DER FREUDE

Himmel blau
Straßen ohne Stau
Affe, Ziege, Delphin, Sau
stellen sich wieder zur Schau
mitten im Menschenbau
inmitten der ehemaligen Natur
Tier-Erinnerung an Blumenflur
dreht zurück die innere Uhr.
Möge auch ich, die menschliche Kreatur
entdecke wieder neu die Urfreude pur.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

FERNBLICK

Ich sehe sie
aneinander gereiht wie die Bäume
die eine lange Straße links und rechts säumen
endlos
einer hinter dem anderen oder neben –
Diese ausgangsgesperrten Tage unseres Lebens
kein Ende in Sicht
Wo gehen wir hin? Wann kommen wir an?
Vor allem, in welchem Zustand?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
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DIE SEELE ALS GEDICHT

Und auch das Leben hat
aus uns Dichtung gemacht
aus jedem von uns ein Gedicht
in sich verdichtet
nach Innen gerichtet
dazu verpflichtet
in der Unsichtbarkeit
in der Unerreichbarkeit
der Menschheit zu dienen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung