OMEN

Manchmal liege ich namenlos da und weiß nicht, wer ich bin. Und bin glücklich.

Ich rufe mir alle Namen ins Gedächtnis, die ich jemals hieß oder noch heiße, im Spaß und im Ernst, doch – merkwürdig – keiner von ihnen trifft zu.

Ich habe mich daran gewöhnt, mich an meinen eigenen Namen nicht mehr erinnern zu können.

Vielleicht habe ich dadurch die Möglichkeit, wirklich Ich zu werden, Ich zu sein, mich (wieder) zu finden und zu erkennen – nicht im Namen nur, sondern tatsächlich im Wirken.

– Che Chidi Chukwumerije.

GEWISSEN

Die allerschlimmste Strafe des Lebens
Besteht oft darin
Daß es uns den falschen Weg
Ungestört bis zum Schluß gehen lässt –

Keine Predigt, keine Mahnung
Tausend Hemmnisse
Reichen nicht aus, um das in uns zu erzeugen
Was das Mit- und Nacherlebenmüssen
Der Neben- und Nachwirkungen
Unserer konsequent bis zum Schluß
Durchgezogenen falschen Handlungen
In uns bewirken –

Deine Augen strafen mich
Täglich mit dieser Mischung
Aus Liebe, Schmerz und Verzeihung

Den verständnislosen Vorwurf
Macht mir jetzt von Selbst mein Gewissen
Jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere…
So wird es sein, bis
Wir alt werden und in Frieden mit einander
Einst sterben
Und wieder jung werden…

Gewiss,
Erinnerung ist die stärkste Waffe
Des Lebens.

– Che Chidi Chukwumerije.

DIE INNERE UHR

Ich erinnere mich an diesen neuen Tag
Als hätte ich ihn schon mal durchlebt
Alles, was er an Überraschungen bringen mag
Hab ich irgendwie schon vor-erlebt.

Wie oft tagt die selbe Zeit
Bevor ihre Zeit um ist?
Sei für eine Wiederholung immer bereit
Weil die Zeit krumm ist.

Die innere Uhr tickt eben auch
Übermittelt die Botschaft der Zeit
Etwas in Deinem Bauch
Sagt Dir: sei bereit – es ist so weit.
Mach Dich offen und drück mich raus
Mach Dich fertig, jetzt geht’s nach Haus.

– Che Chidi Chukwumerije.

SCHÄTZE MICH ABER JETZT

Ich setze mich ruhig
Auf die Bank Deiner Liebe
Pfeife durch gezogene Lippen
Lache mit den Vögeln

Bin ich einsam? – Wer weiß?
Bin ich traurig? – Wer weiß?
Ich sehe freudig aus
Pfeife mit den Vögeln

Ich bin auf Erden
Wanderer aus undenklichen Urfernen
Bin ich von Heimweh gefüllt? – wer weiß?
Ich bin wanderfroh, wach und wieder da

Und, auf meiner Rückreise
Setze ich mich ruhig auf die Bank
Deiner Liebe
Einen Augenblick harre ich
Und dann bin ich wieder gegangen
Flügel, winkend, eine Erinnerung…

– Che Chidi Chukwumerije.

GEWALT UND GEFÜHL

Man sagt
Es stolpert im Wald ein Geist herum
Freund der Tiere, Sohn der Natur
Ein Typ mit wilden Haaren und scheuen Augen
Und einer längst vergessenen Geschichte.

Nur eine
Hat noch nicht vergessen
Politik und Entwicklung haben ihr die Vergangenheit
Nicht weg radiert
Je ferner in die Zukunft die Welt rast
Desto tiefer sinken ihre Wurzeln in das Vergangene hinein.

Es sind kleine Dinge
Die sich an ihn erinnern lassen
Kleine Laute in der Natur, ohne Körper und Ziel
Schatten im Wald, flüchtige Bewegungen.
Sie guckt hinein, sieht nichts, nur Dunkel
Spürt jedoch seine Augen, wild und scheu
Und voller Angst…

Mütter, die ihre Söhne verloren haben
Schwestern, die ihre Brüder verloren haben
Töchter, die ihre Väter verloren haben
Frauen, die ihre Männer verloren haben
Mädchen, die ihre Geliebten verloren haben
Verloren aber nie vergessen.

– CHE CHIDI CHUKWUMERIJE.

AUCH TRAURIGE MOMENTE SIND MOMENTE

Jene Momente
In denen ich an den 5. April 1995 denke
Einen Tag vor dem Unfalltod meines Bruders
Er wußte nicht, es war sein vorletzter Tag…

Jene Momente
In denen ich an den 18. April 2015 denke
Einen Tag vor dem Krebstod meines Vaters
Die Behandlung lief gut
Er dachte nicht, es war sein letzter Abend…

Jene Momente
An denen ich an die liebsten Menschen in
Meinem heutigen Leben denke, und weiß
– genau so wie ich an andere nun denke –
Einige von ihnen werden sich einst an unser
Letztes Auf Wiedersehen erinnern

Und sinnen: Hätte ich nur gewusst
Daß das der letzte AugenBlick sein würde…
Denn einem unter uns Menschen war gestern immer
Der vorletzte Tag

Liebe den Moment, Mensch
Liebe und lebe diesen Moment

Er wird sich nicht wiederholen.

– Che Chidi Chukwumerije.