Die Gesichter. Leinwände menschlicher Geschichten. Jedes Lächeln ein neues Kapitel mit Seiten und Unterseiten. Ein Satz spricht Geschichten, ein Absatz schreibt mehrere Leben in einem Abenteuer von Liebe und Verlust. Scherz schmückt manch einen Leidensweg aber Schmerz kann man lesen, immer, Verzweiflung beobachten wie einen Film, der sich langsam entwickelt - Alle Bilder sind beweglich, selbst der Toten. Zwischen den Zeilen weilen Zweifel und Angst, List nimmt immer einen und noch einen Twist. Hass war nie eine Maske, Frag jemand, der schonmal hasste. Doch die Geschichte der Freude ist die Liebesgeschichte zwischen Sonne und Hoffnung. Es gibt aber eine Seite, die ich immer und immer wieder neu lese - Das ist die der Entschlossenheit. Schau einem Menschen einmal tief ins Gesicht: Der Blick, mit dem er Dich trifft, das ist sein Gedicht. - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Freude
RÜCKFAHRT AUS TIROL
Der Weg ergibt sich aus dem Nebel
Tirol entkleidet sich schnell
entzieht sich dem feuchten Dunst
zwischen seinen Bergen
gibt den Weg frei, eine lange Schlange
und wendet sich unermüdlich
aus der Feier heraus, zurück ins Alte,
voran ins Neue.
Neben mir ein Fluss, der immer in ist,
nimmer out. Die Sonne erscheint zögernd,
es ist eine Wintersonne.
Langsam fallen die Berge zurück,
die Enge weitet sich, und
es liegt eine offene Welt wieder vor mir…
Mit Heimkehr steigt die Reiselust.
Mit Älterwerden, siehe, die jugendliche Lust.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
AUSDRUCK
Als ich tot war
und nichts spürte, außer Schmerz,
dachte ich, ich wusste, was Schmerz ist
Als ich, noch tot, anfing
mich nach dem Leben neu zu sehnen
lernte ich, daß der Schmerz des Todes nichts
im Vergleich zum Schmerz der Sehnsucht ist
Dann erwachte ich wieder zum Leben
und verstand, daß weder der Tod
noch die Sehnsucht mehr schmerzt,
als das Leben selbst. Es schmerzt so sehr,
es bringt Deine Freude zum Aus-Druck.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EHRENAMT: MENSCH
Mich dünkt,
die Schöpfung wird getrieben
wird gehalten wird aufrechterhalten
durch Ehrenamtlichkeit!
Alles, was wichtig was wesentlich ist
Sonne, Regen, Wind, Naturgesetze
Ernte, die Jahreszeiten, sich wiederholend
in selbstloser Regelmäßigkeit!
Doch wir, Menschen, sind so klug geworden
und so leer so einsam so traurig
gefangen in unserem Widerspruch:
wie viel Selbst verträgt die Selbstlosigkeit?
Die wichtigsten Berufe sind unbezahlbar
denoch muss man sie bezahlen –
Die besten Menschen werden ausgenutzt
und Ehre wird quittiert mit Ehrlosigkeit!
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
MENSCHENLICHTER
In ihr brannte ein Licht
als wäre sie eine Lampe
und hütete eine Flamme
die erleuchtete ihr Gesicht
Und wem sie zulächelte,
siehe: da ward ein Wunder
das in dessen grauen Herz
den sterbenden Funken fächelte
Kummer und Schmerz kommen
um uns zu reifen, und gehen
um uns begreifen zu lassen
was uns die Oberflächlichkeit genommen:
Die Flamme der Lichtsehnsucht.
Mal begegnet sie uns in der Natur
Mal in einem einfachen Mitmenschen
aus Fleisch und Blut, ungesucht.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
TRIEB
Manchmal sitze ich still und zufrieden
und habe alles –
Und bin unzufrieden, denn ich habe alles
Manchmal sitze ich still und zufrieden
und habe alles –
Und bin unzufrieden, denn mir fehlt eines:
Jene tiefe Leere
Jene feine Unruhe
Jener schöne unzufriedene Trieb.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DA, WO DAS LACHEN BEGINNT UND STIRBT
Ich habe schon viele Menschen getötet.
Nicht körperlich.
Da, wo es weh tut, wo es wütet,
Wo die Wunde still ist und unerreichbar,
Do, wo der Schmerz unüberwindbar ist
oder zu sein scheint.
Seelisch.
Ich habe schon viele Menschen wiederbelebt.
Nicht physisch.
Da, wo das Leben beginnt, innerlich,
Beginnt als Selbstvertrauen, als Lust,
als Sehnsucht, Freude, Hoffnung, als Drang.
Geistig.
Mögen meine guten Taten meine bösen ausgleichen.
Ich wurde schon von vielen Menschen getötet
Ich wurde schon von vielen Menschen wiederbelebt
Nicht irdisch
Da, wo Menschen sich treffen,
wenn Menschen sich treffen,
im tiefsten Inneren.
Und äußerlich hat keiner was gemerkt.
Außer am Lachen und an seinem Fehlen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ZUSAMMEN ENTFALTEN
Die Gespräche fingen an
sich innerlich zu wiederholen
Dennoch veränderten sie sich
in ihren äußeren Inhalten
Sie selbst wurden älter
wurden zu Symbolen
Vergaßen ihre neuen Worte
Erinnerten sich nur an die alten
Sehr leicht auszudrücken
in den einfachsten Parolen:
Ich liebte mal Deine glatte Haut,
jetzt lieb ich Deine Falten.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
TRAUTES HEIM
Die Kinder wachsen
auch in meinem Herzen
sie nehmen Raum
Der Vater wächst
auch in meinem Herzen
er wird zum Stammbaum
Unser Zuhause wächst
denn Du bist in meinem Herzen
meine Liebe, mein Weib, mein Traum.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
VIERUNDZWANZIG STUNDEN
Was würde ich nicht geben, um
eine fünfundzwanzigste zu bekommen
Noch eine Stunde mit meinen Kindern
und mit meiner Frau mir gönnen
Alles, was mir die restlichen vierundzwanzig haben genommen –
Es sei: Wir holen uns jetzt DIESEN Moment
und nehmen daraus, was wir können.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung