Ich frage mich manchmal, ob nachts die Welt vergisst, wie der Tag sich anfühlt und aussieht. So wie ein Körper in seiner Qual nicht mehr weiß, wie es ist, wenn ihn kein Schmerz durchzieht. Oder wie ein Mensch, allein im Tal der Verzweiflung, denkt, daß Christ- us’ Frieden sich auf Märchen bezieht. Und wie der Geist den Heiligen Gral in seiner Erinnerung vermisst, weil ihm genau das Gleiche geschieht. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Gedächtnis
WIE TIEF DEIN HERZ IST
So viele Gedanken sind Erinnerungen die als Gedanken und Empfindungen zurückkehren. Wie tief Dein Herz ist weisst Du nicht Wenn Dich Schmerz frisst möchte das Licht Dich Tiefe lehren. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
MENSCHEN VERINNERLICHEN
Ich habe so viele Menschen verinnerlicht Ihr Dunkel, ihr Geheimnis, ihr Streben, ihr Licht Unzählige Geschichten tragen mein Gesicht Du kennst mehr Menschen als Du weißt Hast Erinnerungen gespeichert in Deinem Geist während Du von Leben zu Leben unruhig reist Jede Begegnung, die uns innerlich trifft, hinterlässt einen Abdruck in unsichtbarer Schrift eingemeißelt in unsre Geschichte mit ewigem Stift. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
TAGESAUSKLANG
Der letzte Sonnenstrahl wurde bleich und weich und fahl und, als wäre mein Gedächtnis ein Tal, be-, nein, er-leuchtete er ein letztes Mal mich mit Sonnenlied samt Nachhall, wie eine Erinnerung an den Gral, es war einmal. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
VERGESSEN VERGESSEN
Ich wünschte, Gedächtnisschwund… Ich wünschte, Vergessen täte Weh wie eine blutende Wunde, wenn ein Finger abgehackt wird - Aber es ist stattdessen wie Haare. Dem einen gleicht das Vergessen dem langsamen unmerklichen Wachsen, dem anderen dem heimtückischen Abschneiden. Beides tut nicht weh. Hier fühlst Du Dich ein bisschen schwerer. Da ein bisschen leichter. Bis plötzlich Du vor einem Spiegel stehst - Und siehst Dich wieder. Dann erinnerst Du Dich an Dich… Erst dann tut es Weh. Das sich Erinnern. Und das Vergessen vergessen. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EINE ERINNERUNG
Bist Du noch bei mir? Manchmal vergesse ich, in meinem Gedächtnis nach Hinweisen nach Dir rum zu hören - Das ist das Enigma des Gedächtnisses: Es erinnert Dich nicht daran, daß es es gibt. Daran musst Du Dich selbst erinnern. Erst danach schaltet es sich ein, ohne Garantie. Er vergisst neue Begegnungen und neue Namen aber der erste Kuss, die erste Liebe, der erste Tod, der erste Schmerz, und manch ein Geschehen weit zurück in der Vergangenheit, egal wie weit, sie fühlen sich noch so an als wären sie erst gestern geschehen. Die erste Sehnsucht lebt am längsten im Herzen der Erinnerung. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
TRAUMWEG
Neulich entdeckte ich einen Pfad,
der durch mein Gedächtnis lief –
Er schien eine Erinnerung zu wecken,
die schon lange in mir schlief
und nun nach mir leise rief.
Neugierig folgte ich dem Pfad
im Gedächtnis und es lichtete sich
nur langsam mit jedem vorsichtigen Schritt.
Sein unbekanntes Ziel blieb nebelig,
mir so verschleiert wie mein altes Ich.
Ich lag im Bett, Augen zu, still
und lief im Gedächtnis immer weiter –
Plötzlich sah ich vor mir stehend, und
hörte … ein Pferd, eine Stimme, ein Reiter:
Folgst Du dem Weg oder dem Wegbereiter?
Der Pfad verschwand aus meinem Kopf
und die Frage nahm seinen Platz.
Ich erwachte aus meinem Tagtraum
und wiederholte mehrmals diesen Satz
und hütete es in meinem Herz wie einen Schatz.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GEDÄCHTNIS
Vom Charakter her passen sie zu einander
Aber Geschichte und ihre Erinnerungen davon
trennen sie von einander –
machen es ihnen schwer,
auf einander zuzugehen
Könnte nur jemand Ihr Gedächtnis löschen,
wären sie sofort beste Freunde.
Das muss das Leben gedacht haben
und ließ sie sterben und wiederkommen –
Jetzt sind sie Mann und Frau,
aneinander gebunden mit einer Liebe
stärker als Hass und Schmerz und Tod.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
RISSE
Als wäre Heute eine Papierwand
reißt sie der Nostalgie entlang…
Heute häutet sich,
trennt sich und tränt,
hält das überraschte Herz gebannt.
Eine Melodie ist ein Pfad,
der sein Gedächtnis nie verliert –
Ein Gedicht ist eine Speicherkarte,
in die die Jugend ihre Träume diktiert
und als Erinnerungen sie dort ewig bewahrt.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EIN STINK NORMALER ABEND
Kinderstimmen wie Straßenschilder
Ihr Lachen wie Laternen in der Nacht
Ihre Augen spiegeln vergessene Bilder
aus meiner Vergangenheit aufgewacht
Auch ich habe einst so glücklich gespielt
mit einem Bruder – der lebt nicht mehr.
Im Wirbelsturm der Erinnerung aufgewühlt
wird mir das Schwere leicht und das Leichte schwer.
Der heutige Abend ist so stink normal
Ihr werdet ihn wahrscheinlich vergessen –
Und doch ist Normal dafür ideal,
zu bleiben für immer unvergessen.
Ein Wort wird reichen, oder ein Lied
Ein Lachen, ein Geruch, der Euch mit uns verband –
Nach dem Euer Elternpaar lang verschied
und dieser Alltag für immer verschwand.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
