SIE MÜSSEN ANDERS SEIN

Da sie anders aussehen
Müssen sie auch anders sein
Menschsein ist nicht genug
Da sie wo anders entstanden sind
Müssen sie auch anders sein
Die Welt ist nicht genug
Da sie anders sozialisiert wurden
Müssen sie auch anders sein
Der Geist ist nicht genug
Da sie anders sprechen
Müssen sie auch anders sein
Das reicht uns als Grund genug

Grund genug, sie auszugrenzen
Grund genug, sie auszulöschen
Grund genug, sie auszulachen
Grund genug, sie auszurauben
Die sind nicht Menschen wie wir
Die sind nicht so hochwertig wie wir
Die sind nicht zu gebrauchen wie wir
Die sind einfach nicht wie wir
Wir werden alles Menschliche in uns töten
Und sie wie Unmenschen behandeln
Wir zeigen endlich, daß wir Tiere sind
Und werden sie wie Tiere jagen.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

LICHT GEGEN DUNKEL

Es wurde plötzlich dunkler mitten am Tag
Und die Antisonne, dieser dunkle Mond
Stieg nicht von Oben herab, sondern lag
Innen drin, kam von Herzen, wo er thront
Und mitten unter uns wartend mit wohnt.

Jahrzehntelang. Wartend.
Grübelnd. Brütend.
Sinnierend. Beobachtend.
Wütend.
Sehr wütend.

Die Herrschsucht. Die Sehnsucht.
Eine tödliche Mischung aus falsch und richtig.
Die Fahrerflucht in die Sucht nach Zucht
Jede andere Ordnung ist null und nichtig
– dennoch reimt es sich nicht.

Wächst das Dunkel, wächst das Licht
Lernt das Dunkel, lernt das Licht
Kommt das Dunkel, kommt das Licht.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

NEOFASCHISMUS

Die Augen lügen nicht
Haß ist keine Lüge
Haß ist die Wahrheit
Einer Lüge

Die Augen lügen nicht
Auch wenn sie betrügen
Scheinliebe verbirgt
Nicht ganz die Lügen

Die Augen können Liebe lügen
Den Haß nicht. Haß ist
Unvortäuschbar
So blind, wie Haß ist
Haß ist der Urrassist
Hasst alles, was nicht Haß ist
Haß ist der Urnarzisst
Und da der Haß seine Art ist
Zu lieben, liebt er nichts
Was nicht Haß ist
Und liebt sich, denn er hasst sich
Und mich liebt er auch nicht
Er hasst mich. Denn Haß ist
Der Urfaschist. Und ich bin geistig frei.

Ihre Augen lügen nicht
Und in letzter Zeit
Wollen sie auch nicht lügen
Denn es ist so weit.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

DIE ANTIBLUME

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Wie eine Antiblume
Ist der Hass erneut aufgeblüht
Er wurzelt mitten im Seelenreichtum
Aller Kulturen; gedeiht; versprüht
Den Duft der Angst und Irrtümer
Und vergiftet Verstand und Gemüt.

Und blüht mit Misstrauen und Neid
Im Antiblumendreiklang
Die Diplomatie ist ihr nettes Kleid
Systeme stehen unter ihrem Zugzwang
Und – Ihr ahnt es – es folgt das Leid
Wieder, ihr Höhepunkt, ihr Abgesang.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

SOLDAT

Zusammen marschieren
Getrennt kassieren
Alleine erfrieren –
Wessen Krieg führst Du aus?
Kind, komm wieder nach Haus
Sonst werden wir trotz geladenem Applaus
Die Menschheit verlieren.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

AUSSICHT

Bricht bald
Gewalt
Über uns ein?
Bald bricht
Unter uns
Verzicht
Auf Rücksicht
Vollends ein.

Danach –
Nach Ach und Krach –
Bricht Rücksicht
Umsicht
Einsicht ein
Und Zuversicht neu
Zum Licht.

Jetzt herrscht Vorsicht
Und Unsicherheit –
Alle sind verunsichert.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

IM ZEITALTER DER GRENZEN

Die Globalisierung, statt die Grenzen zu öffnen,
Hat sie lediglich näher an einander gerückt
Damit sie sich gegenseitig besser sehen, besser hassen;
Die Spannung macht alle gleichsam verrückt!

Besser wäre es vielleicht, die Grenzen wären noch zu
Und stattdessen die Herzen würden aufgehen
Dann würde jeder uneingeschränkt Eingang finden
In jedes andere Herz – und sich verstehen.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

HASS OHNE BODEN

Der Hass findet immer einen Weg
Sich zu wehren
Nichts hält ihn zurück, nicht mal
Die größten Lehren
Die stärkste Liebe
Strafe, Scham oder Schmerz
Alles dient nur als Rechtfertigung
Für eine Reise abwärts
Den Gehaßten weiter zu hassen
Auf alter Art und Weise
In neuer Form
Sich angepasst den Regeln von Heute.

Die Nachrichten morgens zu hören
Verdirbt Dir nur den Tag
Was gibt es Gutes noch unter den Menschen
Während man lügt “Guten Tag!”
Wie viele, die Dir täglich begegnen
Hassen Dich wegen Deines Äußeres?
Haben Angst vor Deinem Inneren
Halten sich für was Besseres.

Leben mittels Vergiftung der Seele
Scheint wieder als Motto zu siegen
Hetzen, aufstacheln, dran bleiben
Wir sind wieder im Krieg.
Eine feindliche Übernahme ist im Gange
Doch wer durch wen? Und wie und was?
Mir scheint’s, der Menschengeist wurde längst übernommen
Durch Trägheit und Eitelkeit und Hass.

– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

MEINE SONNE

Eine Nacht wie jene Tage
An deiner Seite
In deiner schönen Weite

Schade. Du hasst mich jetzt
Nur Haß kann die Liebe ersetzen
Nur Nacht kann dem Tage folgen

Ferne ferne bleibe ich deinem Hassen
Bis es sich ausgehasst hat…
Meine Sonne wird aufsteigen –

– Che Chidi Chukwumerije.

RÜCKSCHLAG

Nur eines habe ich gelernt
Du musst auf den Schlag verzichten
Denn die Kettenreaktion
Der entzieht sich niemand, auch du nicht

Die Erinnerung verfolgt mich
Jahr und Jahrzehnt um Jahr und Jahrzehnt
So früh am Lebensmorgen, kaum siebzehn
Doch verzichtete ich nicht auf den Schlag, den Rückschlag

Die Kettenreaktion, ihr entzieht sich niemand
Sie entfaltet sich in allen Richtungen
Wechselwirkung fragt nicht nach Gerechtigkeit
Alle Betroffenen sind beteiligt – auch Generationen später.

Bevor ich verschwinde, singe, gelinde, ich
Verzichte auf den Tiefschlag
Der Rückschlag wird wie eine lange Hand sein
Die alles umfasst. Lehrer. Richter. Unerbittlich –

Nur eines habe ich gelernt
Der wahre Sieg, der ist subtil; unfassbar.

– Che Chidi Chukwumerije.