VON HEIMAT ZU HEIMAT

Wie viele Gedanken fallen
dem Regentropfen ein
während er langsam fällt
von Wolke zum Stein?

Denkt er an seine Heimat
die er für immer verlässt?
Denkt er an seine Heimat,
der er nähert und bald nässt?

Du verlässt Deine Heimat
und kommt wo anders an;
Und siehe: Du bist Zuhause
in einem neuen Land.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

OSTERNACHKLANG

Mein Blut blüht auf,
eine Blume in April -
Der Ostern ruft: „Lauf!“
Ich erwache! Ja, ich will!

Wo kommst Du denn her,
einsamer Glockenklang?,
singend, „Näher!, komm näher,
Ich bin erst der Empfang.

Da, wo wir herkommen,
klingt es tausendfach schöner.“
Da, wo WIR herstammen?
„Ja, da ist‘s wunderschöner.

Ich bin aus Deiner Heimat
und läute Dir den Weg zurück,
o Menschenblatt,
im Lebensbuch ins ewige Glück!.“

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

AN DIE HEIMAT

Rote Erde
Schwarze Haut
Grün als Zierde
Weißes Lächeln laut
wie das lauteste Lachen -
Nigeria, Du schöne Braut,
mit Dir werde ich vieles machen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung 

EINE OFFENE ALTE WUNDE

Aus jedem neuen Munde
blüht eine offene alte Wunde
Armageddon ist im Grunde
eine stets wiederkehrende Stunde
Kompromisslosigkeit macht die Runde
Die Raketen geben laut Kunde:
Religion liegt mit Politik im Bunde.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

NGODO

Ich erinnere mich daran
Wie lebendig die Nacht war
Je dunkler sie wurde
Das Dorf war ein tausend Geister
Mein Vater war ihr Meister in meiner Fantasie
Meine Mutter ihre Seele
Sie sprachen mit mir ununterbrochen
Du bist ein atmendes Wesen, sagte ich zu der Nacht,
Aber da ich noch ein Kind war, sagte ich es nicht, 
Ich wusste es einfach
Wir unterhielten uns bis die Sonne aufging
Bis das Dorf ihrer Magie ein Gesicht wieder gab
Und ich wusste, ich wohne in der Stadt, in Lagos,
Aber nur hier, in diesem Dorf, Ngodo,
Bin ich Zuhause.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

BLÜHE

Deutschland,
der vielfältige Regenbogen da
im Spiegel, und menschlich, das bist Du.
Verinnerliche Dich. Deine Blütezeit ist nah.
Du bist mehr, als Du weißt
Blühende Menschen aller Farben, und ja
sie tragen Deinen Geist und tragen ihn aus.
Siehst Du irgendwann, was ich längst sah?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SEHNSUCHT NACH EINEM ZUHAUSE

Wer kann uns geben
was unser Land uns nie oder nicht mehr gab?
Wer kann mir wegnehmen
was ich auch Zuhause sowieso nicht hab?
Im Ausland findet man nur Asyl, Duldung.
Wer Sehnsucht nach Zuhause hat
der muß über langen schwierigen Weg
innerlich zurück - oder weiter - in die Heimat.

Glücklich sind die Neugeborenen
Traurig sind die Neugeborenen
Zuhause im Asyl. Asylanten in der Heimat.
Zuhause in der Fremde. Fremd in der Heimat.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DER FLÜCHTLING

Während er von Grenzpolizei
zu Grenzpolizei flüchtete, brauchte er
eine innere Heimat – am Anfang war die Hoffnung
sein Fluchthafen, aber als sie nach und nach
im Wirrsal der Ablehnung und Beleidigung
langsam umgestülpt wurde,
wuchs Erinnerung zur Herzscholle,
auf der er heimatlich wohnte, jedes Mal,
wenn er die Augen schloss.

Wie durch eine Lorgnette
aus der Ferne erblickte er die Sippschaft,
drollig, imponierend, … entrückt, abstrakt,
referierend fast über eine verlorene Welt.
Das Kind in seinem Herzen kannte sie,
er aber nicht mehr. Er wischte
die nassen Schuppen von seinen Augen
und pflügte voran wie ein Fischkutter
in kalten Gewässern – wahrlich Heimatlos.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

WENN DU DEN SCHMERZ NICHT MEHR FÜHLST

Wenn Du den Schmerz nicht mehr spürst,
bist Du stark oder bist Du taub geworden?
Wenn Du die Nacht nicht mehr hörst,
bist Du hell oder bist Du taub geworden?

Oder wie soll ich das sonst sagen?
Ich lief durch den Tag, durch die Stadt
und sie fühlte sich nicht mehr fremd an.

Bin ich wach geworden oder bin ich tot?
Wie kann etwas einst neu und fremd
sich anfühlen jetzt wie eine Heimatstadt?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DER REISENDE HAT ZWEI HERZEN

Immer, wenn ich in die Welt hinaus gehe
gehe ich hinein in meine Gefühle für Euch
meine Engsten, die ich jedes Mal zurücklasse –
Wie kann man ein Teil von sich zurücklassen
das er immer bei sich in sich hat?

Immer, wenn ich nach Hause zurück kehre
kehre ich zu meiner Sehnsucht nach Euch zurück
die ich jedes Mal da draußen zurück lasse:
unerforschte Wege, rufende Landungsstege,
noch nicht getroffene Freunde im fernen Land.

Wie kann man ein Teil von sich zurücklassen,
das man stets in sich hört und spürt?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung