DIE GANZE WELT KAM NICHT ZUSAMMEN

Die ganze Welt kam zusammen untereinander
aber anstatt sich besser zu lieben,
hat das gegenseitige Erleben voneinander
sie zu noch mehr Hass getrieben.

Internet und leichtes Reisen
beschleunigten die Verbreitung der Vorurteile;
Es fanden sich in alten Kreisen
neue Menschen zusammen in Windeseile.

Das Gesetz der Anziehung der Gleichart
wurde der Menschheit zum Fluch und Verderben;
Eine eiserne Trennung zwischen zart und hart,
zwischen innerem Leben und Sterben.

Wir dünken uns fortgeschritten
doch besser sind wir dabei nicht geworden;
Gefangen in alten starren geistigen Sitten,
künstlich intelligente moderne Horden.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

HERZSURFEN

Manche surfen das Netz
Manche surfen Herzen
und zünden dadrinnen Kerzen an
Nicht Kakophonie, sondern Symphonie,
Harmonie und Sympathie
verlangt von uns das Schöpfungsgesetz.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VIDEOCHAT

Von Bett zu Bett

Getrennt

Durch einen Kontinent

Gelinkt per Internet.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ABGELENKT

Endlich haben wir die Möglichkeit
täglich, stündlich, sekündlich
unsere Gedanken mit allen zu teilen
– doch ich bin abgelenkt.

Seit Stunden scrolle ich hochundrunter
wie schnüffelnd ein Hund im Wald
auf der Suche nach – und weiß trotzdem
immer noch nicht – was Ihr denkt.

Mediensozialisierung
Sinnesüberflutung

Die Suche lenkt mich vom Suchen ab
Das Gefundene lenkt mich vom Finden ab
Eure Gedanken lenken mich vom Denken ab
– Aufmerksamkeit Euch geschenkt
– meine Lebenszeit verschenkt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

UNTERBELICHTUNG

Überbelichtung.
Die ganze Welt wohnt im Netz
Minus die ganze Welt

Ich suche nach dem passenden Filter
um die Mitmenschen auf der Straße
klarer zu sehen. Verdunkelt. Erhellt.

Doch sie sind zu wie Bücher
Und zugänglich wie Bücher
Anders ehrlich, anders verstellt.

Wer ist der echte Mensch? Analog
Oder digital? - Es kommt darauf an
Welche Maske, Dir besser gefällt.

- Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

HERZ-KOPF-INTERNET

Ich stieg heute
kurz
aus meinem Geist
in meinen Verstand und merkte sogleich
daß der Kopf Jahrelang Pläne gemacht hat
die keinerlei Bezug hatten
zu dem tatsächlichen Verlangen in der Seele.

Das Gehirn ist so realitätsfern.
Hat keine Ahnung, was im Herzen los ist.
Was ich wirklich will
Wer ich wirklich bin
Tief in mir

Wie zwei Menschen
in zwei unterschiedlichen Ländern
ohne Internetverbindung.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE ZWEI WELTEN

Ich sah keine Slay Queens
Traf auf keine Influencer
Gewann keine Follower
Fand auch keinen mit tausend Followern
Wurde von keinem Clickbait abgelenkt
Blieb rätselnd vor keinem Avatar stehen
Begegnete keinen viralen Memes oder
Überirdisch schön retuschierten Menschen
Wurde von keinen Trollen beschattet

Alle sahen sie irgendwie so normal aus
Ich brauchte keine Likes
als ich die Straße runterlief zum Lokalbahnhof
hier in dieser anderen, alten, ersten Welt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GREIFBARE GEDANKEN

Spürst Du auch die Gedanken
Der Menschen, die sehnsuchtsvoll
An Dich denken?

Spürst Du auch die Gedanken
Der Menschen, die feindselig
An Dich denken?

Spürst Du auch die Gedanken
Der Menschen, die neugierig
An Dich denken?

Was Du spürst, ist die Art und Weise
Wie leise leise und weise weise
Die Schöpfung alles hört und alles weiß
Und alles weitersagt, ohne Beweis.

Lang bevor es das Internet
Der Dinge als Erfindung
Gab, gab es das Internet
Der Gedanken und Empfindungen.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

SPIEGEL

Im Delphitempel in Apollo
Standen die Worte feierlich
Vor tausenden von Jahren:
Mensch, kenne Dich!

Dann kam Jesus Christus
Gottessohn, Gottesliebe und Held
Und lehrte den Menschen einfach:
Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!

Der Mensch würfelte beides zusammen
Erfand Internet, IT und Digitalnetz
Cyberaugen, Sozialmedien und Wanzen
Und sagte zu sich selbst:

Nächstenliebe ist schwer
Sich selbst kennenlernen schmerzlich;
Lieber, zeige Dich falsch
Doch kenne Deinen Nachbarn gänzlich!

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

HERRSCHAFT DER LÜGE

Wir glauben unseren eigenen Lügen
Mangels der Wahrheit. Die Nachrichten
Riechen nach Lügen, doch wir fügen
Uns unruhig ein, gegen unsere Ansichten
Aus Liebe zur Ordnung und Ruhe
Ohne Nachfrage, ohne Mühe.

Auch wenn eine Lüge Reim noch Sinn
Ergibt, gibt sie uns einen alternativen Halt,
Beruhigt unsere Angst vor dem Unbekannten
Bietet zur Orientierung eine Handlungsbasis
Denn nicht die Wahrheit ist uns heilig
Leider. Sondern unsere Ruhe.

Bald wird das Internet eh gesperrt
Artikel 13 filtert alles weg, was wahr sein
Könnte, in der Behauptung, es muß geklärt
Werden, ob es nicht doch Lug, Trug und Schein
Alles ist. Die Wahrheit muß sich ab jetzt
Rechtfertigen, denn Lügen wurden verletzt.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der Deutschen Dichtung