DICHTKUNST

Mancher abgeschiedene Geist,
So sagt die Legende,
Akzeptiert nicht, daß sein Erdensein
Schon längst ist zu Ende;
Vermischt sich unsichtbar, stur,
Unter den noch irdisch Lebenden,
Fährt brav noch Bus und U-Bahn,
Geht spazieren mit Fußgängern.

Veränderungen zu akzeptieren,
Fällt uns Menschen wohl schwer;
Uns wegzudrehen und weiterzugehen,
Wohlbekanntes habend nicht mehr;
Eine vertraute Vergangenheit loszulassen
Macht uns ängstlich und leer;
In der Gegenwart zu leben –
Gestern weg, kein Morgen hinterher.

Ob vor oder hinter dem Grabmal
Bleiben wir das, was wir sind.
Für manche, Reichtum; andere, Status;
Manche, Liebe; oder die Zeit als Kind,
Oder Schönheit, oder Gesundheit;
Vergangenes macht uns häufig blind.
Wir tun so, als ob die Dinge noch so sind,
Wie sie es längst nicht mehr sind.

Die Kunst des Lebens besteht jedoch
Darin, auf fast alles zu verzichten,
Was das Leben anzubieten hat,
Sich Aktuellem, Kleinem, zu verpflichten;
Darin dann alles zu suchen, zu finden
Und erkennen, pflegen und zu errichten,
Worauf man angeblich verzichtet hat.
Die Kunst des Lebens ist dichten.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

LEINWAND: LEBEN

Literatur ist lügnen
Worte sind Lügen
Dein Leben ist dein Gedicht

Nicht wenn ich reime, reimt es
Sondern wenn sich meine Kreise schließen

Und Wort und Tat sich übereinstimmen.

Die Kunst ist gekünstelt
Alles andere – häßlich oder schön –
Das sind deine wahren Kunstwerke.

– Che Chidi Chukwumerije.

ANTENNE

Nicht meine eigenen Gedanken
Sind meine, sie sind fremde…
Unendlich ist die Endlichkeit
Es gibt nichts unendlicheres –

Zum Glück bin ich noch froh, trotz
Dem vielen Schreiben; ich hafte mich nicht an
Ich laß los – – Sind doch nicht meine Gedanken
Die ich denke. Denn auch ich denke

Nichts mehr.

– che chidi chukwumerije.

ENTWIRRUNG

Nach dem Gefecht eines dornigen Tages
Dicht an Streit, Politik, Geld und Gelten
Bleibt mir nur Feines – für manche, Vages –
Als Ausgleich aus Sepiainnenwelten

Ein paar Strähne des Dichtens
Ein Gemälde, Melodien, eine Geschichte
Parallelraum des feinfühligen Sichtens
Durch das Leichteste aller Gewichte

Töte mich, Poesie, und bring mich neu zur Welt
Seelenverliebt, verwirrt und neu geboren
Entkleide schnell, was mir tagsüber gefällt
Lass wirken, was Innen schlief, verloren.

Wozu denn dieser ganze glatte Fortschritt
Der aus uns lauter leere Hüllen macht?
Jedes Leid ist seines Glückes Schmied
Und den Tag versüßt die Nacht.

– Che Chidi Chukwumerije.