Etliche Nationalitäten liefen nebeneinander auf der Straße. Keine dachte von einer anderen: „Hier ist jemand, den ich eigentlich haße.“ Sie merkten nicht mal ihre Verschiedenheiten Weil sie sich äusserlich ähnelten. Keine spürte ihre Einsamkeit Wo Einsamkeit und Einsamkeit sich spiegelten. So stark ist die Macht der Oberfläche Die Oberflächlichkeit ist zugleich unsere größte Stärke und größte Schwäche. In unserer Armut sind wir reich. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
Oberfläche
AUS DER TIEFE
Ich bin aus der Tiefe aufgetaucht um auf der Oberfläche zu leben Aber jetzt fehlt mir die Tiefe wieder, das innere Weilen im ruhigen Erleben wo ich niemandem gefallen mußte außer meiner inneren Stimme eben. Die Sonnenuntergänge waren anders Die Gespräche inniger und wahrhaftiger Die Alleinsamkeiten waren nicht einsam Die Bindungen waren unabhängiger Klarheit, Sicht und Einsicht waren einerlei und flüstern jetzt: werde wieder lebendiger Denn die Oberfläche ist oberflächlicher geworden - und die Tiefe noch tiefer. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
HAUT
Haut ist laut
Vertraut
So vertraut
Sie klaut uns den Einblick,
verbaut uns fein den Eintritt
in die Welt unter der Haut
Gleichart ist nicht immer Gleichart
Unter der Haut …
Umgekehrt.
Welten und Welten von Geheimnissen
sind dadrunter verstaut.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE OBERFLÄCHE DER TIEFE
Manche Ringe sind so tief
Du musst sie auf die Oberfläche ziehen
Um sie anziehen zu können
Manche Wälder sind so wild
Du musst sie als Gärten erzählen
Um sie begreifbar zu machen
Manche Schmerzen sind so lähmend
Du musst sie lächelnd ignorieren
Um sie ungestört in Dir wüten zu lassen
Einst liebte ich die Tiefe
Verpönte die Oberfläche
Bis die Tiefe mich verriet
Und die Oberfläche mich tröstete
Vorübergehend und oberflächlich zwar
Doch genau richtig für dort
Wo ich innerlich gerade war.
– Che Chidi Chukwumerije (23.01.2020)
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

SCHUTZZÖGERN
Abschied aus dem Reiche
Der Oberfläche –
Ich zögere…
Welche Tiefe braucht keine Oberfläche?
Welche Wahrheit braucht
Keine sie schützende Lüge?
Ablenkung und Deckung.
Ich zögere.
Wer zögert,
Hat bereits verloren.
Oder ist auch das nur eine Schutzlüge?
Ich zögere.
Denn ich weiß
Daß mein schweigendes Wissen
Das Wertvollste ist, was ich besitze.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
DIE GRENZE DER DICHTUNG
Einer muß das Verschlüßelte
Erst entschlüsseln (können) (wollen) (müssen)
Und darin liegt die Kunst.
Die Dichtung ist ein stilles Bild
Die in Richtung einer Realität zeigt
Die jenseits der Dichtung liegt.
Sich in die Dichtung zu verlieben
An der Dichtung zu hängen
Und bei der Dichtung stehen zu bleiben
Ohne in die darüber und dahinter
Lebende Realität hinein zu gehen,
Ein Teil dessen unvollkommen, unvollständig
Und meistens fehlerhaft VERDICHTET wurde
Als Dichtung ins Gedicht,
Wäre:
Der Dichtung ihren wahren Sinn und
Wahren Zweck zu berauben;
Wäre:
Ihr Dasein vergebens und umsonst zu machen
Fast wäre es besser, das Gedicht
Wurde nie geschrieben.
Die Dichtung fungiert und funktioniert
In ihrer höchsten Form
Am besten als Botschafter, als Zeigefinger
Um das Vorhandensein dessen zu bezeugen
Und darauf hinzuweisen:
Ein Ort und eine Zeit
Und eine Beschaffenheit und ein Sein
Wo das, was schwach in dem Gedicht
Zu ahnen ist,
Keine Dichtung ist
Sondern normale und echte
Realität.
Die Wirklichkeit.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
ALLES UND NICHTS
Das Äußere
Das Veräußerte
Das Innere
Das Verinnerlichte
Mein Bruder sieht nicht aus, wie ich
Der Fremde aber könnte mir Zwilling sein
Wegen des Geäußerten
Das immer Vieles aber nie Alles
In sich verinnerlicht preisgibt.
– Che Chidi Chukwumerije.
