Wie kann ein Mensch so viele Menschen sein? So viel am Kämpfen sein mit sich Selbst? Wie kann ein Jahr so viele Jahreszeiten sein? So viele Kalenderseiten sein in einem Etat? Wie kann das Weltmeer So viele Meere sein? So voll mit Leere sein und mit Leben schwer? Mit wie vielen Menschen bin ich verheiratet? Wie viele Eltern hatte ich? Mit wie vielen Liedern ist meine Gitarre besaitet? Schon wie viele Leben hatte ich? - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Reinkarnation
GEDÄCHTNIS
Vom Charakter her passen sie zu einander
Aber Geschichte und ihre Erinnerungen davon
trennen sie von einander –
machen es ihnen schwer,
auf einander zuzugehen
Könnte nur jemand Ihr Gedächtnis löschen,
wären sie sofort beste Freunde.
Das muss das Leben gedacht haben
und ließ sie sterben und wiederkommen –
Jetzt sind sie Mann und Frau,
aneinander gebunden mit einer Liebe
stärker als Hass und Schmerz und Tod.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
NACHDENKEN AM SONNTAG
Immer wieder diese Frage:
Wenn ich nur einmal lebe,
was nutzt mir das ganze Wissen,
gewonnen aus allem, was ich erlebe,
nach dem ich sterbe?
Bis Du alles begriffen hast,
bist Du alt, es ist vorbei,
das Wesentliche hast Du verpasst.
Irgendwie macht es keinen Sinn,
diesen intelligenzsammelnden Geist,
Mensch,
nur einmal leben zu lassen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DIE ERKENNTNIS DANACH
Einen Wegen zu gehen,
nur um zu sehen,
daß es es nicht wert war,
den Weg zu gehen… –
War es wert?
Was nun mit diesem Wissen?
Auf Deinem Gewissen sitzen
reicht nicht – es war nur Wert, wenn
Du nochmal leben darfst. – –
Ich möchte wieder leben
mit diesem weise gewordenen Herz.
Ich würde so viel anders machen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GEH-SCHICHTEN
Hast auch Du in Deinem Herzen
so viele Geschichten und Erinnerungen,
von denen Du nicht weißt,
wie Du sie richtig erzählen sollst?
Einige Kapitel Deines Lebens
waren Fortsetzung und Abschluss einer Geschichte,
die in einer verschwundenen Zeit stattfand
manchmal lange bevor Du geboren wurdest.
Einige Kapitel Deines Lebens
waren Präambel und Vorboten einer Geschichte,
die in einer zukünftigen Zeit abspielen wird
manchmal lange noch dem Du gestorben bist.
Wie willst Du diese Geschichten erzählen?
Alles, was Du tun kannst, ist im Heute leben,
der Realität angepasst, und im Heute
für eine bessere Welt mitkämpfen.
Nicht alles kannst Du sagen –
aber sagen kannst Du alles,
was gesagt werden muss…
und was einst weitererzählt werden wird.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
RECYCLING
Geister
Generationen
Kommen
Gehen
Kommen wieder
Die selben Absichtsträger
wie ein Maulwurf
wie ein springender Ball
kehren immer wieder
auf die Erdoberfläche zurück.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
OSAKA
Asien! Ich schmecke Dich
wie Blut in meinem Herzen
Rieche Dich wie eine Erinnerung
an heimatlich duftende Kerzen
als Du mich grüßtest im Winter
mit Frühlingsgeburtsschmerzen
denn Kirschblüten im Februar
sind diese hohen feinen Scherzen
mit denen Japan sich verewigt
in unseren reinkarnierenden Herzen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
WIE DIE ALTEN SUNGEN
Geister gehen und kommen wieder
Wie die Strophen der Gedichte und Lieder,
Ziehen empor oder drücken nieder
Werden neu geboren und immer wieder
Wer die Geister vergangener Zeiten
Wieder treffen möchte und begleiten
Der suche nicht in vergilbten Seiten
Oder in Friedhöfen herum schreiten
Der gehe liebe in die Kindergärten
In die Schulen, Schulhöfe und Fährten
Da wo erzogen wird in Neuen hehren Werten
Findet man manchmal auch zurückgekehrten.
Jede ausgestorbene Denkensgeneration
Überspringt die 1. oder 2. Folgegeneration
Dann häufig ohne verinnerlichte Lebenslektion
Feiert unverändert ihre neue Reinkarnation.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
WUNDEN
Wunden leben lang
Länger als mehrere Erdenleben
Länger als der Hang
Der verursachte das Seelenbeben
Länger als sie sichtbar sind
Länger als sie äußerlich richtbar sind
Langanhaltend wie Schwanengesang.
Ein Wundenfluss
Legt einen langen Weg zurück
Suchend Abschluss
Über Leben und unter Brück‘
Zurückbringend, was er gewonnen hat
Denn da, wo er begonnen hat
Ist auch dort, wo er enden muss.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
HAUT REIN
Mein Haut ist Kraut
Und zäh und laut
Würzig gebaut
Ist aber auch nur Haut
Verwundbar empfindlich zart
Ich kann sie an und ausziehen
Ihr nennt das Geburt und Tod
Ich denk an meinen Ausgehmantel
Der altert langsam oder wird beschädigt
Und muß eines Tages ausgewechselt sein.
Ist ein Migrant ein Einwanderer
Oder ein Auswanderer? Was überlegt
Er sich nachts, wenn er sich einsam fühlt
Und ahnt, hier komme ich nie an –
Zurück oder bleiben oder weiterwandern?
Die Haut aber weiterhin ergraut
Während es sich auf der Erdenbahn staut
Menschlein, Menschsein ist Mensch sein
Schön sein ist Mensch sein. Zuhause sein
Ist Mensch sein. Egal in welcher Haut.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung