MEIN WERT

Als ich aufhörte, kostenlos zu sein,
verloren die einen den Appetit nach mir -
In den anderen erwachte der Heißhunger.

Als ich anfing, Weh zu tun,
flohen die einen; die anderen gaben sich hin:
Mir, uns, und unserem gleichartigen Beißhunger.

Als ich aufhörte, ohne Grenzen zu sein,
blieben die einen draußen, die anderen drinnen
schätzten befriedigt meinen Schweiß und Hunger.

Es hat lange gedauert aber ich kenne meinen Wert;
Ich weiß, wie viel ich weiß, kann, wage, schaffe
mit unbändigem Fleiß und unersättlichem Hunger.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE VERLORENEN JAHRE

Wo war ich die ganzen Jahre?
Ich frage mich jetzt noch. Perplex.
Die meisten Menschen, die wir täglich sehen,
sind tatsächlich verschwunden. Hex hex!

Du denkst, daß Du lebst, weil Du da bist;
und da bist, weil Du lebst. Doch vermisst
Du Dich selbst spürbar. Dein Bewusstsein ist
kein bewusst sein mehr, nur ein Reflex.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DA WO DU BIST

Frag keinen nach dem Weg.
Er wird Dir nur seinen Weg zeigen,
nicht Deinen. Deiner ist eigen.

Er beginnt da, wo Du bist.

Frag keinen nach dem Landungssteg.
Er wird Dir nur seine Beine zeigen,
nicht Deine. Selbst mußt Du umsteigen.

Es findet da statt, wo Du bist.

Menschen können aussehen, wie Du –
Sie haben trotzdem eine andere Aussicht.
Menschen können anders aussehen als Du –
Sie verstehen trotzdem Veränderung nicht.

Zumindest die nicht, die die Deine ist –
Sie verändert Dich, und dort, wo Du bist.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DAS JAHR DER DEUTSCHEN SICHTUNG

Ich weiß
Es klingt widersprüchlich
Auch ich hätte es nie geglaubt
Nie gedacht
Nie begriffen nie verstanden
Nie erklären oder begründen oder
Beweisen können
Bis ich es in mir entdeckte
Wo es nicht nur tief und fest steckte
Sich versteckte, könnte man fast sagen
Sondern wo es immer war
Der Auferweckung harrend
Dem wiederbelebenden Ruf folgend
Zum Etwas Sein, was ich schon immer war
Und bin und sein werde
Ob ich es weiß oder nicht
Verstehe oder nicht
Will oder nicht:
Deutsch. Und Schwarz. Gleichzeitig.

Mich umbringen wird es nicht töten
Mich ausgrenzen wird es nicht beseitigen
Mich ausweisen wird es nicht verbannen
Mich ignorieren wird es nicht abhängen
Mich verteufeln wird es nicht verbrennen
Mich verneinen macht es nicht ungültig
Denn es bejaht sich in mir täglich:
Deutsch. Und Schwarz. Gleichzeitig. Sein.
Ohne wenn. Ohne aber.
Frag mich nicht warum.
Es ist einfach so.
Tinte verschwindet, Papier vergilbt
Blut zerrinnt und Fleisch ist schwach –
Doch der Geist ist stark und überlebt
Und kennt und geht immer seinen Weg.
Mich säubern bringt nichts
Denn Schicht unter Schicht unter Schicht
Bleibe ich:
Deutsch. Und Schwarz. Gleichzeitig.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung