KRÄHE

Mitten im Stimmendschungel der Stadt
kräht eine Krähe im Vorbeifliegen -
Habe nur ich sie gehört? Anstatt
aufzuhorchen, redeten sie weiter. Glatt.
Ein Teil von mir ist auch im Lärm geblieben
Aber ein Teil von mir ist leise ausgestiegen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

STADT SILHOUETTE

Die Stadt ist viele Städte
Jede eine fremde Facette
Die fiese, die fade, die nette
Auf dieser gemischten Palette
Des Modernen Wirkungsstätte
Zugleich Freiheit und Kette
Was ich hab, ist, was ich rette -
Meinen Geist und seine Silhouette -
Unwichtig was ich nicht hab oder hätte.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

ZÖGERND

Eher zögernd kam
Wieder
Der Frankfurter Schnee
Über
Stadt, Land, Fluss
und Liebe

Zuckte kurz, nicht mal heftig
Einmal, zweimal, scheu, bedächtig
Auch eine zarte Liebesbekenntnis
verschwindet niemals aus dem Gedächtnis.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

FRANKFURT AM MAIN

Ich höre Dich
wenn ich aus dem Fenster rausrieche
spüre Deine Gedanken Gefühle
in den Augen fremder Menschen
auf Deinen Gassen immer
rufst Du mich bist verlangend bist
besitzergreifend eine zweite Stimme
in meinem Kopf wenn ich nachts
im Bett liege denke ich denke nichts
fühle ich fühle etwas weiß nicht was
empfinde Dich mein gewordenes Zuhause.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MORGENLÄCHELN

Die ersten Tagträumer
tauchen tapfer in den tautrunkenen Tag
Auch so früh am Morgen ist es erstaunlich
wie viele Mitreisenden Dir ein müdes Lächeln
zurück schenken, wenn Du mutig
Dein Herz öffnest und jedem Augenkontakt
mit einem vermutlich ebenso müdes Morgenlächeln
verewigst.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

BARFUSS

Die Stadt klebt an meinen Stiefeln
Ich schleppe sie überall mit,
ins Dorf und ins Ausland
Bis vor die Tür meiner Wohnung
Dann ziehe ich sie aus.
Wo die Stadt endet und Deine Welt beginnt,
Da bin ich Zuhaus.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MITTE AUGUST

Wenn Stimmen und Lärm die Leinwand sind,
Auf die Du Dein Schweigen malen musst,
Ist die Stadt eine unendliche Leinwand -
Genug Brust breit genug für Deine Lust.
So lang gerieben, Schweigen aber ist wund
Durch Begehren der Stadt und ihre Frust;
Denn das Schweigen geht gegen den Trend,
Gleichzeitig ignorierend und benutzend bewusst
Die Mischung aus geschwollenem Vollmond
Und der brennenden Stadt mitten im August.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

WENN DU DEN SCHMERZ NICHT MEHR FÜHLST

Wenn Du den Schmerz nicht mehr spürst,
bist Du stark oder bist Du taub geworden?
Wenn Du die Nacht nicht mehr hörst,
bist Du hell oder bist Du taub geworden?

Oder wie soll ich das sonst sagen?
Ich lief durch den Tag, durch die Stadt
und sie fühlte sich nicht mehr fremd an.

Bin ich wach geworden oder bin ich tot?
Wie kann etwas einst neu und fremd
sich anfühlen jetzt wie eine Heimatstadt?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

STADTTEILE

Wie Geheimnisse aufsteigend
aus dem Mutterleib des Ozeans
tauchen plötzlich
aus der Tiefe der Stadt
neue Menschen auf ihrer Oberfläche auf.

Auf einmal wohne ich
in einer völlig neuen Welt
und mußte dafür nicht einmal
die Stadtgrenze überqueren –
Die ganze Welt wohnt halt in einer Weltstadt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

FFM

Abend in der Stadt
Ein Gewusel an fertigen Gefühlen
Und unfertigen Gedanken
Fettig, Auto und Haut
Stillstand am Stadion – Eintracht
Spielt Krieg auch noch heute
Leute Meute teutonische Kräfte
Freigelassen, Endstand ungewiss
Der Drang ins Innere endlich gelungen
Abend in der Innenstadt
Müder Verkehr, doch
Müde sein wäre verkehrt, bald vermehrt
Sich die Lichterschar, alle fassen Mut
Versöhnen und vertragen sich
Denn die Stärke dieser Stadt
Liegt in ihrer Fähigkeit, ohne Scham
Und ohne Minderwertigkeitskomplex
Mit sich selbst schwach zu sein.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung