WUNDEN

Ich besuchte eine Wunde
und sie war offen
klagte aus weinendem Munde
Ich kam näher, selbst betroffen

Die Wunde war empfindlich
und aufmerksam und klug
zog mich an sich unwiderstehlich
wich mir aus mit feinem Betrug

Ich hob meinen Zeigefinger
und legte ihn an die Wunde
Sie seufzte vor nichts geringer
als der Hoffnung, ich gesunde.

Doch kein Mensch kann Dich heilen
denn wir alle bergen eigene Wunden
Nur wenn wir Ehrlichkeit teilen
hätten wir Linderung gefunden.

Ich besuchte eine Wunde
und sie war zu -
Doch sie begriff mich in unserem Abgrunde
und öffnete sich mir ab und zu.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

WELLENRITT

Ich bin in der Welle
reite sie heftig
Ich bin in der Kiste
schüttle sie kräftig
Ich bin in der Stimmung
gebe mich ihr hin
Das ist meine Widmung
da ist alles drin.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GEBEN UND NEHMEN

So viel zu geben
Kein Abnehmer
So viel benötigt
Kein Abgeber
Angefangen von Vertrauen
Bis zum sich gegenseitig in die Augen schauen
Und Eine Gesellschaft zusammen aufbauen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE BESTEN GESCHENKE

Heiligabend. War er bereits –
mit Geschenken mehr oder weniger beladen –
bei Euch gewesen?
Nicht vergessen, zieht hoch die Rolladen…
Schaut hinter die Fassaden:

Die besten Geschenke
kommen, reich beladen, von Herzen
und lindern den Mitmenschen
ihre Trauer, ihre Einsamkeit und ihre Schmerzen…
Brennen heller als alle Adventskerzen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GEBEN EMPFANGEN

Vielleicht ist es Dir entgangen
Du warst die Antwort auf mein Verlangen

Von der Einsamkeit eingefangen
Zweisamkeit anbietend hinausgegangen

Als Worte, die zittern, die bangen,
die in Deine Sehnsucht hineindrangen

Worte, die miteinander mitsangen
Eine Wellenlänge, auf der wir schwangen

Gemeinsam gefangen
Gemeinsam ausklangen

Geben ist das schönste Empfangen
und ist das Schönste empfangen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GIB DICH GANZ

Denkst Du deutsch, wenn Du deutsch sprichst?
Oder sind das nur Worte, die Du an mich schickst?
Schenkst Du Liebe, wenn Du Liebe machst?
Oder sind die Küsse leer, die Du spielend vor hast?
Wie viel kannst Du nehmen, und immer noch nicht satt sein?
Wie viel kannst Du geben, und immer noch nicht leer sein?
Wie eng kannst Du Dich binden, und immer noch getrennt sein?
Wie weit kannst Du Dich entfernen, und immer noch mein Eigentum sein?
Wenn Du liebst, halte nichts zurück
Sonst musst Du wieder kommen
Und wieder kommen
Und wieder kommen
Bis Du mir alles gegeben hast.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

TEILEN

Ich berühre Dich
denke ich, doch
ich berühre mich

Im Dunkeln
zünde ich mir das Licht
wenn ich Dich zum Funkeln bringe

Es gibt keinen Unterschied
im Dunkeln
zwischen Dir und mir

Ich berühre Dich
Ich berühre mich
Hauptsache, Du lachst.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VERMEHREN

Wenn ich Gedichte den Armen,
Gedanken den Verlorenen,
Lächeln den Einsamen,
Dienste den Alten,
Liebe den Verlassenen,
und mich Dir
geben würde, was hätte
ich dann noch übrig für mich?
Nichts? Oder alles?
Oder mehr?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

KOMMUNIKATIONSBRUCHSTÜCKE

Wir schwiegen so lang
Das Schweigen wurde zum Gespräch
Zu unserem längsten intimsten Gespräch
Und wir sprechen immer noch
Das Sprechen wurde uns nun zum Hang

Um Mißverständnisse zu vermeiden
Da wir uns so gut verstehen und leiden
Vertiefen wir unser Gespräch
Unser prägnantes vertrautes Gespräch
Keine Kommunikationslücke erlauben

Keine Kommunikationsbrüche
Keine Kommunikationsbrücke
Kleine Kommunikationskunststücke
Des Schweigens und des Verweigerns
Aus Angst, erneut zu scheitern.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

KOMMUNIKATIONSLÜCKEN

Wir verstehen uns am meisten
Wenn wir schweigen
Mißverständnisse vermeiden wir
Je weniger wir zeigen
Und darin liegen die Kommunikationslücken –
Denn wo nicht kommuniziert wird
Wird alles gesagt, mißverständlich
Und alles, was wir hätten teilen können
Stirbt unergänzt und unvollständig.
Wir werden einander nie beglücken.

Che Chidi Chukwumerije.
2019: Jahr der deutschen Dichtung