MIT SCHMERZ LEBEN

Schmerz ist ein Muster,
das unsere Herzenswände schmückt;
das die grauen Nächte verschönert,
die unsere leeren Tage bestätigen wollen;
das das Leben versüßt,
welches droht, in seiner Öde
uns an unserem Sterbebett
mit einem bitteren Beigeschmack
enttäuscht zu verlassen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SOLLEN WIR WARTEN BIS ZUR TRAUERFEIER?

Sollen wir warten bis zur Trauerfeier,
um erst dann zu werden (un)endlich freier?
Sollen wir‘s hinausschieben bis zur Beisetzung,
um anzuerkennen innere Verletzung?
Sollen wir zögern bis zum letzten Abschied,
um zu teilen unserer Herzen Lied?
Wir harren im Kriegen im Sehnen nach Frieden,
schaffen uns Schmerz und wollen Glück schmieden.
Versöhnungsversuche heute wieder nicht gestartet.
Wie lange wollen wir noch warten
auf ein Ende, daß auf uns nicht wartet,
in einer Form, die wir nicht erwarten?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

JENSEITS IST DIESSEITS

Ich träumte, ich drehte mich um und sah Dich um mich trauernd, mich vermissend. So fiel es mir ein, oder auf, daß ich Dir wohl irdisch verstorben war und längst beerdigt. Ich mußte es zwischenzeitlich vergessen haben, den Tod und die Beisetzung, denke ich, denn alles, was ich weiß, ist, daß ich hinüber und weiter gegangen bin. Ich, unverändert, und immer noch am Leben. Und lebend sein fühlte sich, wie auf der Erde, so normal an.

Du warst dennoch so weit weg. Doch sah ich Deine Trauer wie eine Kerze im Nachbarhaus auf der anderen Straßenseite unter der Brücke. Und Du warst selbst die stete brennende Kerze. Oh, wie ich Dich trösten wollte… Aber Du hörtest und sahst mich nicht wie früher. Das war‘s, was weh tat.

So entschloss ich mich, Dir ein letztes Gedicht zu schreiben, denn Du warst immer die erste, die meine Gedichte lass, und hast sie immer tief empfunden. Sicherlich würdest Du diese auch empfangen und empfinden, wenn ich sie Dir aus dem Dir Jenseits mir Diesseits sende … oder leise vorlese…, dachte ich, hoffte ich. . Es war mir selbstverständlich aber wissen wusste ich es ehrlich gesagt nicht. Mehr konnte ich aber nicht mehr tun.

Also fing ich an, dieses Gedicht zu schreiben:

Auch wenn Du denkst, ich bin gestorben,
bin ich Dir viel näher, als Du denkst…
Gleichzeitig näher und weiter als Deine Gedanken,
ganz egal, wie wo Du sie hin lenkst…

Ich will aber, daß Du Dich umdrehst
und Dich Deinem Erdenleben voll widmest;
Dein Weg empor in unser Ziel liegt wie Stufen
in jedem Moment, in dem Du irdisch noch atmest.

Und dann wachte ich aus dem Schlaf auf und siehe da, es war ein Traum. Und das Leben fühlt sich, wie immer, normal an, egal in welcher Zeit und in welchem Raum.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ZEIT ZUM KENNENLERNEN

Wir werden älter
ohne älter zu werden
als wäre unser Körper
süchtiger auf Sterben
als wir selbst.

Plötzlich ist mein Körper
nicht mehr meiner
sondern ein kalter Fremder.
Sein Weg ist seiner -
und er verwelkt.

Laß uns deshalb schnell
die Zeit nutzen -
uns finden, kennenlernen,
lieben, unterstützen
bevor er wegfällt.

- Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ÜBERDREHT

Immer noch auf
Kriegsfuß. Barfüßig begegnet.
Unvorbereitet.
Kriegsgruss. Barbusig geschändet.
Ungeschützt.
Kriegskuss. Doppelzüngig gestoßen.
Ausgebreitet.
Ein Todeskuss soll es sein. Ununterstützt.
Abschüssig der Ablauf.
Aufs Kriegsfuß immer noch.

Mein Kind kommt heute von der Schule heim.
Überdreht. Papa, wir werden alle sterben.
Welche Psyche wird ihre Generation erben?
Bisherige Zukunft erstickt im Keim.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

EIN LEBEN KURZ EIN LEBEN LANG

Manch ein Mensch
lebt bis ins hohe Alter
nur um zu erfahren, daß
er bereits als Kind starb
und sein ganzes Leben lang
tot war.

Manch ein Mensch lebt lang genug
um zu begreifen, daß sein Leben kurz war.

Doch manch einer überlebt seine Kindheit,
gestärkt durch Liebe oder gewonnenen Kampf
und selbst wenn er jung stirbt,
hat er länger gelebt als alle anderen –
und länger noch wird er leben…
ein Licht für alle Ewigkeit.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

AUSDRUCK

Als ich tot war
und nichts spürte, außer Schmerz,
dachte ich, ich wusste, was Schmerz ist

Als ich, noch tot, anfing
mich nach dem Leben neu zu sehnen
lernte ich, daß der Schmerz des Todes nichts
im Vergleich zum Schmerz der Sehnsucht ist

Dann erwachte ich wieder zum Leben
und verstand, daß weder der Tod
noch die Sehnsucht mehr schmerzt,
als das Leben selbst. Es schmerzt so sehr,
es bringt Deine Freude zum Aus-Druck.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SCHMERZ ALS SCHMERZMITTEL

Ich vermisse Dich
so sehr, daß
die Sehnsucht mir genügt
Sie ernährt mich Tag und Nacht
so daß die Wunde Deiner Abwesenheit
längst geheilt wurde durch meine
immer anwesende Sehnsucht nach Dir.

Stell Dir vor,
ein Tag ginge vorbei, in dem
ich an Dich kein einziges Mal dachte…
Das wäre wahrlich der traurigste Tag meines Lebens
schlimmer noch als Deine Abwesenheit
schlimmer noch als mein Schmerz
schlimmer noch als Dein Tod.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung