INDIVIDUELLE SCHICKSALE

Kein Sohn gleicht dem Vater
kein Mensch dem anderen genau
Auf diesem Erde genannten Theater
ist das Sichtbare nur Schau

Unsere Wünsche blenden uns
unsere Ängste, Einsamkeit, Unwissen
Gedankenwolken, Gefühle, ein Dunst
vor des Lebens Geheimnissen

Wir kommen und gehen, mehrmals,
jeder Mensch eine einmaliges Kreatur
Liebe sie, doch binde Dich niemals
an sie. Jedem seine Tour.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GESCHICHTSBLÄTTER

Die einen wachsen
Die anderen welken
Auf jedem Blatt steht Geschichte geschrieben
Andere Lebensadern, andere Gedichte
Alle aus dem selben Buch getrieben
Wenn Du nicht genauer hinschaust
Läufst Du an tausend Menschen vorbei
Und erkennst nicht, wie eigenartig
Jeder von uns ist.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

POLE

Sie waren Sommer und Winter
Schatten und Licht
Wohnten in der selben Natur
Kannten sich nicht
Einer vor, der andere dahinter
Sie waren Tag und Nacht,
Wohnten in der selben Kultur
Zwar ohne Zwietracht
Und doch ohne Eintracht.

Manche Menschen gibt es
Damit es uns geben kann.
Uns, den anderen Pol, gibt es
Damit im naturgesetzlichen Plan
Das Gleichgewicht herrschen kann.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

UNSERE WÄLDER

Am Schönsten ist nicht immer am Tiefsten.
Vorsicht: Wen nennst Du da Deinen liebsten?
Ein schönes Gefängnis ist ein Gefängnis;
Freiheit ist die schönere Schönheit,
Alleinsein ist besser als Einsamkeit,
Ein goldener Käfig ist ein Käfig.

Wenn der Wald in mir anfängt zu reden,
Versteht der Wald in Dir? Oder ist Dein Eden
Hort eines anderen Baums der Erkenntnis?
Eine andere Eva, eine andere Schlange,
Ein anderer Adam. Eine andere Wange
Spürt Deine Tränen, mit mehr Verständnis.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

UNIFORMEN

Die Uniformen
Verdecken die Unterschiede lang genug
Bringen ihre Träger einander nah genug
Um die Unterschiede klar genug zu sehen
Jetzt sind sie fassbar genug zu verstehen
Hinter den Normen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung 

VIELFALT DER MENSCHHEIT

Wir sind so verschieden –
Fünf Hautfarben genügen nicht,
um Vielfalt zu wiedergeben.

Ein Regenbogen reicht nicht aus,
um unsere Lichter zu widerspiegeln,
wenn wir uns der Sonne öffnen.

Wir sind aus verschiedenen Empfindungen geboren,
aus unterschiedlichen Gedanken gekleidet
und verkörpern jeder ein einzigartiges Bewusstsein.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LEERE WIRD NICHT VOLLER DURCH NÄHE

Je mehr ich von der Welt sehe,
desto weniger sehe ich von ihr.
Flugzeuge transportieren nicht nur unsre Sehnsüchte,
sondern auch unsere Ichsucht und Leere;
Das Internet zeigt uns nicht nur, was uns verbindet,
sondern so oft, was uns entfremdet und trennt;
Und bringt uns enger zusammen,
damit jeder im anderen die Einsamkeit erkennt,
unter der auch er leidet und brennt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VIELFALT UND EINHEIT

Trennwand
trenn Dich von der Trendwand.
– laß das linke ins rechte
und das rechte ins linke Herz blicken.
– laß das männliche ins weibliche und
das Weibliche ins Männliche hineingucken.
– laß das junge ins alte,
das alte ins junge Gemüt Einsicht erhalten.
– laß das fremde ins fremde, laß das
menschliche im menschlichen sich einschalten.
Trennwand,
trenn Dich von der Trendwand –
… befreie uns von dem Trendwahn.
Es gibt stets mehr Optionen, als ich ahn.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

HINTER DEN KULTUREN

Zugvögeln haben es weit
Doch nimmer so weit wie ich es hatte
Wo ich zu Euch her zog

Groß ist die Welt – und weit
Und Kulturen sind Wände
Hoch und hart, ohne Tür und Fenster

Doch genau so wie der Himmel
Kracht und lacht sein krummzackiges Lächeln
Aufgehellt für einen Augenblick

Gibt es in der Wand manchmal
Einen Riss, und ich schaute hinein
Und sah, überrascht, Menschen.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung