Schreibt Protokoll Geht einkaufen Schiebt Überstunden Hält das Büro am Laufen Geht Kompromisse ein (F)Akten balancierend Deadlines frühzeitig haltend Schlüsse akzeptierend Schaut immer wieder auf das Handy Steht plötzlich auf Ich muss jetzt zu meinen Kindern Ich mache den Rest von Zuhaus Kurz nach Mitternacht Nochmal eine letzte Mail Sitzt morgen wieder lachend im Büro Mit müden Augen parallel. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Vater
NICHT MEHR LANGE
Wie schnell Ihr wachst Eure Augen sprechen Volumen Eure Worte navigieren kluge Gedanken Auf den Weg zu mir Ich sehe es in Euren denkenden Augen - Wie lange noch, bis ich Euch nicht mehr Meine Kinder nenne Sondern meine Erwachsenen? Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
AN MEINE SCHWARZEN KINDER
Meine Kinder, Ihr seid mehr, weit mehr, als Ihr denkt. Seid nicht entmutigt, wenn Eure Gesellschaft hin und her schwenkt, unsicher darüber, was sie gemeinsam und einzeln von Euch hält, und in welche Schublade Euch zu stecken ihr am bequemsten gefällt. Ihr seid meine Kinder - Das ist mehr, als Ihr jetzt begreift. Eure Wurzeln sind tiefer, als jede Farbe, die über Euch streift. Sie verankern Euch in dem Anfang unserer Menschenwelt und werden Euch halten, egal was die Welt Euch in den Weg stellt. Nicht leben ist wichtig, sondern würdig leben und stolz sterben. Leistet ewig Widerstand, wenn versucht wird, Euch zu enterben unseres höchsten Guts und ältesten Guts als Menschheit: Euer tiefes Selbstvertrauen, Euer Geistes Wissen der eigenen Fähigkeit. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
KLEINE TRENNUNGEN
„Vater, Du brauchst zu lang - Kann ich wieder alleine hin?“ Ich spüre seinen Freiheitsdrang. Er muss zum Hort Ich zur S-Bahn und zur Arbeit Für jeden Menschen ein anderer Ort „Wir müssen in die selbe Richtung. Lasst uns doch zusammen bis zur zweiten Kreuzung.“ Wir laufen los Er marschiert zielstrebig nach vorne, beachtet mich nicht groß. Für diese Strecke auf jeden Fall braucht er mich nicht mehr, auf einmal. So reisen wir ein Stück miteinander, Vater und Sohn, dann gehen unsere Wege auseinander. Ich bleibe stehen, sehe ihn selbstbewusst weiter laufen und dann um die Ecke gehen. Kleine Wendungen können genau so tief bewegen wie große Trennungen. - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
VORFREUDE AUF WEIHNACHTSFREUDE
Der schönste Moment des Tages
Stufe für Stufe stiegen wir die Treppe hoch
äußerlich auf die Bühne
innerlich in die Freude
und holten die Weihnachtsdeko runter
denn Sehnsucht war das Treppenhaus
Mein Sohn und ich
Vergangenheit und Zukunft
Erinnerung und Hoffnung und kommende Nostalgie.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
WACHSENDE FREUNDSCHAFT
Freundschaft
Ein Sohn, der zu seinem Vater hoch schaut
und in ihm einen Freund sucht –
Wenn ihm die Zeit eines Tages den Vater klaut
Hinterlässt sie zwischen ihnen die Frucht der Sehnsucht:
Die Männerfreundschaft.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
IM SPIEGEL SUCHEN
Ein Junge lief nach langer Wanderung Heim
um seinem Vater zu erklären,
warum er fort gegangen war –
Doch der Vater war mittlerweile schon gestorben,
ohne erfahren zu haben…
Daß sein Sohn gegangen war
auf der Suche nach ihm, dem Vater,
und irrte so lange herum, bis er
die Stimme des Vaters in seinem Herzen vernahm –
denn er war nun ein Mann geworden.
Er schritt nun durch die Tür hinein
Das Haus war leer
An der Wand stand ein Spiegel
Er schaute lang in das Glas hinein
und die Augen seines Vaters, sie schauten zurück.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
FAMILIENVATER
Bin schwach heute
finde aber in meiner Umgebung keinen Platz
für das schwache mich.
Alle sehen mich mit Augen an
die mich wissen lassen, daß ich für sie stark bin
und stark sein muss.
Deshalb bin ich stark
auch wenn ich schwach bin
besonders wenn ich schwach bin.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DAS WESENTLICHE
Papa, Du bist
fast nie Zuhause –
sagte mir heute Morgen mein Sohn.
Aber ich hörte:
Papa, Du bist nie da.
Und ich dachte an die Demos,
dachte an die Arbeit und an die Treffen,
an die Zukunft, die ich ihm bereiten wollte…
Und ich fragte mich:
War es das alles Wert?
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DU WIRST STRAUCHELN
Halte inne, und sei gewiß
den Fehler Deiner Eltern wirst Du wiederholen
Wissen ist Macht
DIESES Wissen allein wird Dich retten
kurz bevor Du fällst –
Es gibt einen Grund warum
Afrika sich ständig wiederholt
Europa sich ständig wiederholt
Deutschland sich ständig wiederholt
trotz allen Bemühungen zum Anderswerden.
Den Fehler machen die, die ihre Eltern
irrtümlicherweise für ihre Vergangenheit halten,
nicht ahnend: die sind Eure Zukunft
ruhig gärend in Euch wartend –
Nur dieses Wissen wird Euch retten.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung