ABLENKENDE MAUERN

Menschen wie Mauer
Schwer zu überwinden
Ihre Freude, Ihre Trauer
Wie Farben den Blinden
Wir suchen und wir finden
Nichts zum Verbinden
Auf die Dauer.

Womöglich sind die Mauern
Gar keine Mauern
Womöglich sind die Masken
Gar keine Masken.
Womöglich ist unser Leben
Gar kein Leben
Nur eine Ablenkung vom Leben.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

FARBLINIEN

Die Distanz akzeptieren
als die nächste Nähe

Wissen, daß der Versuch,
näher zu ziehen

ein größeres Distanzieren verursacht

Farbe ist die dünne Trennhaut
einer großen Distanz

Die Bindehaut zwischen
Toleranz und Akzeptanz

Die willkommene Illusion von Nähe.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

VERKEHRSREGELN

Schnell über rot
schnell war sie tot:
diese junge Beziehung

Das tägliche Brot
wurde zum Verbot:
Liebe zur Verzeihung

Das fünfte Gebot
bringt in Erklärungsnot:
Bindung und Befreiung.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

VERBUNDEN

Wie ein Gast
Neben mir liegend
Liege ich neben mir
Wie ein Geist

Und wie ein Geist
Bist Du mit mir
So anwesend
Als wärest Du mit mir

Denn Du bist da
Mit mir
Frag mich nicht wie
Aber Du bist da

Überwältigend nah
Obwohl Du meilenweit
Irgendwo liegst
Wach in der Nacht

Wie ein Gast
Im eigenen Bett
Und redest mit mir
Ohne Handy

Ohne Worte
Ohne Gedanken
Ein Miteinander stärker
Und intensiver

Inniger und intimer
Wirklicher und wahrhaftiger
Schweigsamer, verständlicher
Als Blut und Fleisch.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
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GEGENSEITIGKEIT

Er hatte sich daran gewöhnt
Von ihr nicht begriffen zu werden
Und hatte langsam damit aufgehört
Sein Inneres Betreffendes ihr mit zuteilen –
Probiert es gar nicht mehr
Seine Erinnerung ist sein Herr.

Sie hatte sich daran gewöhnt
Des Nichtverstehens beschuldigt zu werden
Und hat sich darauf eingestellt
Sein nachdenkliches Schweigen als Antwort zu erhalten –
Hilflos und mit Liebe erfüllt
Schweigt sie auch, innerlich aufgewühlt.

Die Jahre kommen und gehen
Wie in unzähligen kleinen Ehen –
Ob wächst das gegenseitige Verstehen
Oder schrumpft es gar?
Es ist nicht mehr, was es war
Doch die Liebe ist unerklärlicherweise noch wahr
Die sie ohne Worte gegenseitig in ihren Augen sehen.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

WAS WIR ALLES SCHON WISSEN

Das wissen wir schon
Am Ende des Tages steigt
Die Sonne…

Das wissen wir schon
Daß ein Herz kein Mund ist
Ein Mund kein Herz hat…

Das wissen wir schon
Daß unsere Liebe nur Schein ist
Wahr-schein-licht…

Denn ich liebe dich
Mal so mal so –
Das wissen wir schon…

Und wir schritten getrennt
Einen gemeinsamen Weg –
Das wissen wir jetzt…

– Che Chidi Chukwumerije.