ZEITREISEN

Die Natur erzählte mir, daß
sie die Fragen im Winter sammelt
im Frühling vergißt
im Sommer wieder in Erinnerung ruft
und im Herbst beantwortet.

Schweigen ist keine Schwäche
sondern ein Werkzeug
Geduld ist das Licht, in dem
das Unklare langsam klarer wird
Die Zeit ist ein Freund der Wahrheit.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

WIE VIELE MEILEN ZUR OASE?

Wie viele Meilen bis zur Oase?
Ich renne und brenne und trenne
mich immer noch nicht von der Wüste.
Wie viele Wellen bis zur Ekstase?
Ich reite und gleite und verbreite
Wonne ungenügend für meine Gelüste.
Wie viele Zeilen bis zur letzten Phrase?
Ich schreibe und treibe und bleibe
auf der Seite, wo ich die Liebe küsste.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

WARTEN

Wie lange Gast?
Exil wird langsam zum Knast
Außen, frierend, Rast
Innen, fiebernd, Hast
Haß im goldenen Palast
Im Kreise wandern macht nur Sinn
Wenn die Reise mündet in den Beginn.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

SCHWEIGEN

Wie die Bäume
Die alles hören
Sehen und fühlen
Und niemand stören

Habe ich gelernt
Nicht auf alles
Zu antworten

Wie die Bäume
Die als Samen starten
Und langsam wachsam
Während wir warten

Habe ich gelernt
Es gibt nicht für alles
Vorgefertigte Antworten

Manche Fragen sind Samen –
Gebettet am stillen Ort
Zieht sich langsam zusammen
Die richtige Antwort.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

EIN REIFERER SUCHENDE GEWORDEN

All die Jahre hast Du gewartet
Und nicht gewusst, worauf
Kostbar muß es sein, deshalb
Nimmst Du alles in Kauf
Doch Du wirst nicht jünger, langsam
Nimmt das Leben seinen Lauf
Leben, lieben, leiden, wachsen
Und das Leben hat Dich getauft

All die Jahre hast Du gesucht
Unter jedem Dach und Fach
Bis in Dir selbst das Leben schüttelte
Einen besonderen Menschen wach

Ein Geheimnis verrat’ ich Dir dennoch
Ob Du es glaubst oder nicht
Es erwartet immer noch Dich da draußen
Der Gral, das Gesuchte, das Licht

Weiter geht Dein Suchen morgen
Doch mach Dir keine Sorgen
Du bist zu einem reiferen Suchenden geworden.

– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

ERTRAG

Ein gesprochenes Wort
Soll wie eine reife Frucht sein
Die fallen muß –

Ansonsten
Halte es noch eine Weile zurück
Und warte, wie es Bäume tun.

Durch Sturm und Wind
Zu Boden gerissenen, unreifen Früchten
Trauern wir immer nach

Selten
Geben sie auch einen Samen frei
Der keimen wird. Keimen kann.

Schwer wiegen
Leicht wiegen
Gesagt ist gesagt.

Schweigen ertragen
Alles Saat hat seine gute Zeit
Zum Ertragbringen.

Ohne Winter
Kein Frühling, kein Sommer
Ohne harren, kein Herbst.

– Che Chidi Chukwumerije.

ERWARTEN

Sie wurde bleich
Ich wurde weich
Ich war der Teich
In ihrem Reich –

So schwierig ist es nicht
Treu zu bleiben
Schwieriger ist es, zu warten
Bis das Richtige einbricht –

Schwierig ist warten
Lohnt sich aber

Sein Inhaber ist Erwarten
Du erwartest Dich aber
Nicht Du wartest auf Deine Zukunft
Sondern sie auf Dich.

Sie wurde bleich
Ich wurde weich
Ich war der Teich
In ihrem Reich.

– Che Chidi Chukwumerije.

WARTESCHLEIFE

Ich saß ungesehen am Busbahnhof
Rostige Blätter starben in der Luft
Auf der letzten Reise zum Friedhof
Ich hätt sie trauriger eingestuft

Der letzte Bus ist wieder abgefahren
Letzter Kuß, letzter Wink, der Platz ist leer
Ein Schreck ist mir plötzlich eingefahren:
Was mache ich immer noch hier?

– Che Chidi Chukwumerije.

UNSERE GRENZEN

Weit weit
Wie Ort des Urknalls
Kante des Geschehens
Leben
Weit weit dehnt sich
Weiter mein Herz aus
Jedes Herz, das ich einst rührte
Ist noch unterwegs nach Haus
Jeder Freund, der Abschied nahm
Spür ich noch hier Zuhaus

Wie weit noch, dein Ufer?
Bald gehen mir die Kräfte aus.

– Che Chidi Chukwumerije.