BEI SAALBURG

Wer hat hier gelebt geliebt
In Frieden im Krieg
Brunnen und Mauer gebaut
In die Augen seiner Geliebten geschaut
Gebeten, gelacht
Über die Zukunft nachgedacht
Gehofft, Freude und Angst gespürt
Das Herz seiner Mitmenschen gerührt
Und für diesen Ort sein Leben
Ohne Zögern gerne gegeben
Hier gealtert, an Gott geglaubt
und sein Körper hier zurückgelassen
als er mit Fragen in seinem Herzen starb?
Denn auch er mußte eines Tages fort?

Wo ist er heute?
Weiß er, daß ich über die Reste
seines geliebten Heimatdorfs
nachdenklich spaziere
und mich frage, was aus seinem Geist
geworden ist?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GEGENWÄRTIG

Ich erinnere mich an Dinge
die ich nie gemacht habe
und vergesse diejenigen
die ich einst machte

Ich erinnere mich an Menschen
die ich fast, und doch nicht, küsste
und habe diejenigen längst vergessen
die ich mehrmals verschlang in der Nacht.

Ich erinnere mich an die Zukunft
die ich so sehr haben wollte
und vergesse schnell die Vergangenheit
die ich rasch durcheilte.

Und am Ende meiner Tage
stehe ich da mit leeren Händen
ohne Vergangenheit, ohne Zukunft
in einem abgelaufenen Augenblick.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LETZTE CHANCE

Ich habe nie geglaubt
der Mensch lebt nur einmal –
doch was wenn das mein letztes Mal ist?

Mein letztes Mal, die Sonne zu sehen
Mein letztes Mal, Gedichte zu schreiben
Mein letztes Mal, Euch zu begegnen

Fast haben wir uns gestern gegrüßt
In der Bahn unsere Augen begegneten sich
kurz, und schauten wieder weg.

Wir bereuten es gestern.
Wir bereuen es heute.
Und wir werden es morgen noch bereuen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VIERUNDZWANZIG STUNDEN

Was würde ich nicht geben, um
eine fünfundzwanzigste zu bekommen

Noch eine Stunde mit meinen Kindern
und mit meiner Frau mir gönnen

Alles, was mir die restlichen vierundzwanzig haben genommen –

Es sei: Wir holen uns jetzt DIESEN Moment
und nehmen daraus, was wir können.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DEIN PFAD BRAUCHT NOCH ZEIT

Warte ab
Die Zukunft braucht noch eine Weile
um sich neu zu formen…
Drum, bleibe noch länger in der Gegenwart
und laß das Kommende in Ruhe gären…

Seit wann bist Du der neue Mensch, der
Du nun geworden bist?
Du hast Dich zu schnell geändert
für Dein Schicksal
Dein Pfad braucht noch Zeit, zu reagieren…

Freunde werden in den Herzen Deiner Feinde geboren
Feinde werden hinter dem Gesicht Deiner
Freunde geformt
So ist der Weg der Welt – daß
Vieles lang äußerlich ganz anders aussieht
als es innerlich tatsächlich ist.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

NEUGEBURT AM ABEND

Die Zukunft ist hinter mir her
Ich laufe so schnell wie ich kann
Ich laufe weg von ihr
Sie ist meine alte Zukunft, die ich mir einst ersann
Ich will sie nicht mehr

Jetzt baue ich mir schnell eine neue Zukunft –
Doch meine Zeit ist fast um. Reise ohne Ankunft?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

24 STUNDEN

Möchte drei sein
drei Menschen
die sich nicht kennen

Sie gehen jeder
den Träumen nach
für die sie einzeln brennen

Ein Erdenleben reicht
nicht aus, für den Suchlauf
den wir unermüdlich rennen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

TEURE ZEIT

Da ist viel mehr Zeit innerhalb eines Tages,
als wir vermuten.
Zeit genug, um mehr zu erfüllen, als wir oft versuchen.
Zeit genug, um alle zu lieben, die wir lieben wollen.
Doch nicht Zeit genug, falsch zu gehen und wieder zurück zu kehren.
Dafür musst Du nach einmal leben.
Drum: widme Dich heute allem,
was Dir lieb und teuer ist.
Zeit für mehr hast Du nicht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DIE UHR UND DIE ZEIT

Die Uhr läuft runter
Doch die Zeit bleibt still
Wir werden älter und älter
Doch unverändert, unser Wille.

Che Chidi Chukwumerijee
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

HEUTE NUR HEUTE

Morgen ist schwanger,
Schwanger mit Gestern
Und mit Übermorgen

Nur Heute wird Morgen fehlen
Denn er ist schon da
Und kommt nimmermehr zurück.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung