HAUT REIN

Mein Haut ist Kraut
Und zäh und laut
Würzig gebaut
Ist aber auch nur Haut
Verwundbar empfindlich zart

Ich kann sie an und ausziehen
Ihr nennt das Geburt und Tod
Ich denk an meinen Ausgehmantel
Der altert langsam oder wird beschädigt
Und muß eines Tages ausgewechselt sein.

Ist ein Migrant ein Einwanderer
Oder ein Auswanderer? Was überlegt
Er sich nachts, wenn er sich einsam fühlt
Und ahnt, hier komme ich nie an –
Zurück oder bleiben oder weiterwandern?

Die Haut aber weiterhin ergraut
Während es sich auf der Erdenbahn staut
Menschlein, Menschsein ist Mensch sein
Schön sein ist Mensch sein. Zuhause sein
Ist Mensch sein. Egal in welcher Haut.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

LÜCKENFÜLLER

Der Himmel ist nur dann blau
Wenn ich nach oben schaue
Normalerweise ist er grausam
Keine Anteilnahme

Was ist anspruchsvoller in der Zeit:
Die Endlichkeit oder die Unendlichkeit?
Unendliche Zeit ist schwierig
Jeder Tag ist eine Herausforderung
Kein Müßiggang

Jeden Tag überrascht uns irgendetwas
Das Unerwartete erwarten wir ja immer
Dennoch überrascht es uns – und eines Tages
Wir es der Tod sein.
Und eines Tages wird es der Tod sein.

Wiedergeburt. Neugeburt.
Brücke ist nur dann Brücke
Wenn ich mich überbrücken lasse
Beglücken lasse von der Kehrseite
Des unerwarteten Regenschauers
Sonst ist sie bloß eine Lücke

Dann bist Du der Lückenfüller
Und merkst es nicht, bis die Lücke wieder
Verschwunden ist und Du stürzt zu Boden
Augen nach unten gerichtet, anstatt nach oben.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

ERNÄHRUNG

Hand ausgestreckt
Nach einer Realität
Jenseits des Ausgedachten
Das Jenseits wurde nicht ausgedacht

Ursprung versteckt
Ursprung einer Loyalität
Zum treibenden Nicht-Ausgedachten
Leere Räume haben’s mir beigebracht

Ein leerer Raum
Voller Wunderkraft und Macht
Wirklich, kein Traum
Ich hab’s mir nicht ausgedacht –

Die Zeit ist mein Wunderraum:
Bis sie täglich in sich zusammenbricht
Muß ich finden neu den Wunderbaum
Und pflücken mir ein Gedicht.

Mein Jahr der deutschen Dichtung
Gibst mir Halt, Nahrung, Richtung
In mitten des Waldes menschlichen Wirrwarrs
Öffnest Dich einmal täglich, helle Waldlichtung.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

FLÜGE DES MORGENS

Es war einmal ein guter Morgen
Hell wie Glocken, denn Glocken
Sind glücklich wie ein Kind ohne Sorgen
Der Morgen war das lachende Kind
Der Schöpfung –

Staunend schaute der Morgen
Aus tausend träumenden Augen heraus
Auf Gedanken, die lange verborgen
Im Tal der Nacht sich nach Licht sehnten
Und der Morgen fühlte sich geborgen
Auf den Flügeln seiner eigenen Kindlichkeit –

Und während die Sonne,
Vater des Morgens, stieg und strenger wurde
Und in den Menschenaugen
Der Morgenglanz langsam ersetzt wurde
Durch Menschenblick, seufzte sanft
Und freundlich der träumende Morgen
Ein letztes langes leises Mal
Genoß den Augenblick…
Und ahnte das Ende seines Lebens.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

KEINE ZEIT

Auf einmal sehen die Menschen
Alt aus –
Als hätte der Junge
Ein Bühnenkostüm sich ‘rübergezogen
Und spiele jetzt den Greis.

Auf einmal gehen die Kerzen
Bald aus –
Beim Glanz der Flammenzunge
Schmilzt der schwere Mantel, wird ausgezogen
Es schließt sich ein Kreis.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

DER LIEBE ZULIEBE

Es ist die Liebe zum Leben
Die in ruhigen Stunden
Die Gedichte in mir sich erheben
Ließ, und mich sie aufheben –
Sonst wären sie wieder verschwunden.

Schaffe in Deinem Leben Raum
Zu verwirklichen einen lieben Traum
Mittig in Dir – nicht am Saum.
Der Liebe Traum ist mehr als Traum
Er ist Erhaltung, Nahrung, Lebensbaum.

Ernst knapp ist nur die liebe Zeit
Doch die Zeit, die man der Liebe verleiht
Damit der Liebe Traum gedeiht
Das allein ist wahrlich die Lebenszeit
Denn die erhält man zurück als Ewigkeit.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

MOMENTE NÜTZLICH FÜLLEN

Wissen, wann man am besten Tschüss sagt
Kurz bevor der schöne Abend plötzlich unbehagt
Noch während eine schöne Aussicht hervorragt
Und Unsicherheit Deine Seele noch nicht plagt

Wenn noch keiner nach der Uhrzeit fragt
Und die späte Müdigkeit witzelnd beklagt
Gähnend fragt, ob man heute Abend noch was wagt
Und Unsicherheit an noch keiner Seele nagt

Das Treffen ist jung, doch sein Sinn schon betagt
Die Dynamik des Gesellens ist einfach so veranlagt
Der Mut zur Bindung irgendwann doch verzagt
Weil Unsicherheit in die Seelen jagt

Unsicherheit darüber, was der eigentliche Sinn ist
Des Treffens, des Moments bezüglich der kurzen Frist
Die das Erdenleben uns unerbittlich ausmisst
Was der Mensch in seinem Unterbewusstsein nie vergisst.

Che Chidi Chukwumerije.
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

VERZEIHUNG

Es ist erstaunlich, wie viel
Die Liebe verzeihen kann
Der Mann seiner Frau
Die Frau ihrem Mann
Machtlos gegen die Macht der Zeit
Die irgendwann alles befreit

Das werd ich Dir nie verzeihen
Hat jeder mal gedacht
Doch die Liebe, die Herzverräterin
Ach wie sie lacht…
Alles, was sie braucht, ist genug Zeit
Dann ist Dein Herz auch so weit

Und es verzeiht, will verzeihen
Wahre Liebe hat ein Eigenleben
Die Zeit ändert den Liebenden
Erweckt in ihm neues Bestreben
Alter Streit erscheint uns nicht mehr wichtig
Nur Liebe ist dem Herz immer richtig.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

LANGSAM GEHT SCHNELL

Das, womit der Mensch stets
Am Wenigsten rechnet, das,
Was ihm aber stets widerfährt:
Daß seine Zeit einst um ist
Schneller als erwartet, und er
Keine Zeit mehr hat, das Wesentliche
Noch zu erfüllen, bis er scheidet.

Alles bleibt unvollendet
Gedanken, Sätze, Kapitel
Abgeschnitten, lose hängend
Kaum einer stirbt ohne
Sich nachdenklich zu fragen –
Und? Was war der Sinn des Ganzen? –
Ein kurzer Gedanke, dann Gute Nacht.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

DAS KOMISCHE

Das Komische
ist, daß ich es nie erkenne
bis es vollbracht ist
immer

sondern glaube stete
noch beim Letzten zu sein
das allerdings schon längst vorbei ist
lautlos

Mich traf kurz vorher ein Blitz
Eine Erkenntnis –
Ich wollte aber als erstes mir den Titel besinnen
Aber bis mir der eindämmerte
war wieder weggeflogen bereits das Gedicht.

Das Komische
ist, daß ich es nie erkenne
bis es vollbracht ist… und heim geflogen –
Immer.

– Che Chidi Chukwumerije