DIE UNSICHTBARE TRENNUNG

Nachdem der Tod sie getrennt hatte
blieben sie lange noch innerlich
in der Nähe von einander
denn der Leben ist stärker als der Tod –
und zwar das Innenleben des Geistes.

Jedoch spürten sie langsam, daß es
allmählich Zeit wurde, sich wirklich von
einander zu trennen. Und zwölf Jahre
nach dem Unfalltod seines Bruders, erlitt
er zum zweiten Mal den Trennungsschmerz.

Er weinte bitterlich und wusste nicht warum
denn der Verstand versteht wenig von dem
was in der Seele vorgeht. Als er seinen
Bruder fort dachte, war er die ganze Zeit da.
Doch als der tatsächlich sich löste, spürte er

die trennende Bewegung – und den Abschied.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

Dieses Gedicht ist die Fortsetzung des Gedichts „GEFÜHLE

und wird selbst nochmal fortgesetzt…

ALLE GLEICH

Mensch.
Groß oder klein
Vornehm oder gering
Männlich oder weiblich
Hell- oder dunkelhäutig
Machthaber oder Untertan

Und dann fällt der Vorhang
Die Zeit ist um
Alles Äußerliche fällt weg
Geblieben ist nur die Erkenntnis:
Das war doch nur ein
Mensch.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

müde

abend
labt müde wie ein hund
sich an meiner müdigkeit
und saugt und saugt bis er meine
müdigkeit leer getrunken hat…

geblieben ist nur die erinnerung
an den kalten tag,
nicht das gefühl –
bis morgen vergesse ich dankbar
wie die Kälte sich anfühlt.

che chidi chukwumerije
im jahrzeht der deutschen dichtung

UNTER DEM SCHUTZ DER MACHT

Wie viel Macht
ist zu viel Macht?
– gib Acht!

Während sich Links und Rechts
gegenseitig neutralisieren im Gefecht
kommt das neue Schutzgesetz.

Am achtzehnten gib Acht.
Macht ist die Macht zu entmachten.
Schutz wird den Schutz nicht vor dem Schutz schützen.

Gib Acht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GÄNSEHAUT DER ERDE

Die Zeiten, wie der Blitz,
verlangen uns den Donner ab
Deshalb hört jetzt die Welt unsere Stimmen
lauter als je zuvor.

Die Menschen, wie Gänsehaut der Erde
schütteln sich plötzlich und sind
überrascht – denn die Stimmen des Herzen
sind nicht weich, sie sind sehr hart.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SIND WIR DAS VOLK ALLE?

Die Gesellschaft ist geteilt –
Beide Seiten schreien
Frieden! Freiheit! und wollen
beide keine Diktatur.

Ich stehe in der Mitte und
habe den vagen Eindruck,
die streiten über etwas ganz anderes,
als sie sagen. Oder sagen können.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

GETARNTE FEIGHEIT

Stimmen
Ich höre uns nicht
Ich höre unser Schweigen

Doch alle geben Beifall
denn unser Schweigen
haben wir mit Worten getarnt,

leeren Worten.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LAUB

Ich sehe die Blätter –
Sie ruhen auf dem Boden.
Der Baum, erleichtert,
atmet frei…

Wie gern würde auch ich
alles fallen lassen…
Als wäre ich der Herbst
meines eigenen Lebens.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LUFT

Ich atme Menschen ein
und rieche kein Corona

Meine Lungen dursten wieder nach
Menschen Menschen Menschen,
nach unterer und oberer Gesichtshälfte,
nach Händedruck und Umarmung

Meine Lungen sind leer geworden
Ich habe Lust nach Menschen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MENSCHENMENGEN

Ich stand
wie eine Frage inmitten von unpassenden Antworten
schweigend umgeben von vielen Worten.

Ich fühle mich angelogen,
obwohl keiner zu mir sprach.
Ich fühle mich beschmutzt,
obwohl keiner mich anfasste.
Ich fühle mich mißverstanden,
und es beschäftigte mich noch lange
nach dem ich wieder Zuhause und alleine war.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung