Ich muss allerdings gestehen Es fällt mir heute nichts ein Ich habe nichts Neues gesehen War den ganzen Tag allein Nicht ich der Mensch äußerer Gesichter - Sondern ich der innere Dichter. Wie ein Ich in meinem Ich saß ich Und sah mich vieles machen Manchmal ernst, manchmal spaßig Unterwegs mit meinen sieben Sachen - Und ich merkte nicht, daß ich mich beobachtete, Bis der Abend dämmerte und ich erwachte. So wenig leben wir, während wir leben, Das lebendige Ich versteckt sich. So wenig geben wir, wenn wir geben. Das lebendige Ich entdeckt sich erst am Ende seiner langen Lebensreise - Ein Junge unerfüllt im sterbenden Greise. - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
empfindung
MORGEN VIEL LEICHT
Ich spüre den Morgen in der Luft
aber er ist nirgend in Sicht,
ich finde ihn nicht.
So wie ich Dich in mir spüre
und finde Dich nicht,
meinen Sonnenschein, mein Licht.
Doch es schwebt schon der Morgenduft;
Ob aus Passion oder aus Pflicht
zeigt der Morgen täglich sein Gesicht.
Du aber schreitest nie durch die Türe
in meinem inneren Dickicht –
außer ab und zu als Gedicht.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
UNTER DER HAUT
Ich mußte diesmal lang hinein hören um Dich in mir herauszuhören denn ich bin meinungsstark und laut unter meinem Schweigen über meine Haut Wer bist Du? Unter Deiner Haut. Wie viele Personen sind darunter verstaut? Darf ich da rein? Ich will nicht stören. Nur wissen, ob wir innerlich zusammengehören. Das Eindringen könnte Schichten zerstören und versteckte Gedichte heraufbeschwören. Farben haben uns die Sicht verbaut. Unter der Haut aber ist mir alles vertraut. - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
SANFT GROOVEN
Wenn alles ruhig geworden ist
und die frohen Stimmen aus der Kindheit
endgültig verschollen zu sein scheinen…
Wenn die Musik aus dem Speaker sanft groovt
und meine Widersprüche mittanzen
denn was soll man abends sonst machen?
Wenn Du aus meinem Seelenuntergrund schlüpfst
denn Du weißt, daß ich schwach geworden bin –
Ich habe den Kampf gegen mich verloren –
Welcher Held wird nicht zum Fall gebracht?
Welche Lüge ist nicht insgeheim die Wahrheit?
Welcher Erwachsene vermisst sein inneres Kind nicht?
Auf Wiedersehen, Du.
Lümmelnd groovt der späte Abend dahin..
Schweifend tanzen meine Gefühle miteinander
Schweigend beobachte ich mein inneres Ich.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DA WO DU BIST
Frag keinen nach dem Weg.
Er wird Dir nur seinen Weg zeigen,
nicht Deinen. Deiner ist eigen.
Er beginnt da, wo Du bist.
Frag keinen nach dem Landungssteg.
Er wird Dir nur seine Beine zeigen,
nicht Deine. Selbst mußt Du umsteigen.
Es findet da statt, wo Du bist.
Menschen können aussehen, wie Du –
Sie haben trotzdem eine andere Aussicht.
Menschen können anders aussehen als Du –
Sie verstehen trotzdem Veränderung nicht.
Zumindest die nicht, die die Deine ist –
Sie verändert Dich, und dort, wo Du bist.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
TRAUMWEG
Neulich entdeckte ich einen Pfad,
der durch mein Gedächtnis lief –
Er schien eine Erinnerung zu wecken,
die schon lange in mir schlief
und nun nach mir leise rief.
Neugierig folgte ich dem Pfad
im Gedächtnis und es lichtete sich
nur langsam mit jedem vorsichtigen Schritt.
Sein unbekanntes Ziel blieb nebelig,
mir so verschleiert wie mein altes Ich.
Ich lag im Bett, Augen zu, still
und lief im Gedächtnis immer weiter –
Plötzlich sah ich vor mir stehend, und
hörte … ein Pferd, eine Stimme, ein Reiter:
Folgst Du dem Weg oder dem Wegbereiter?
Der Pfad verschwand aus meinem Kopf
und die Frage nahm seinen Platz.
Ich erwachte aus meinem Tagtraum
und wiederholte mehrmals diesen Satz
und hütete es in meinem Herz wie einen Schatz.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
VERLORENE KINDLICHKEIT
Am Tor ins Weihnachtsland
blieb ich stehen und wurde blind,
denn hinter der Schwelle sah ich nichts von all den Dingen, die dahinter sind.
Und ich schüttelte leicht den Kopf,
erstaunt, daß ich davon nichts mehr empfind;
denn vor langer Zeit wohnte auch ich
in jenem Land als Kind.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GEDÄCHTNIS
Vom Charakter her passen sie zu einander
Aber Geschichte und ihre Erinnerungen davon
trennen sie von einander –
machen es ihnen schwer,
auf einander zuzugehen
Könnte nur jemand Ihr Gedächtnis löschen,
wären sie sofort beste Freunde.
Das muss das Leben gedacht haben
und ließ sie sterben und wiederkommen –
Jetzt sind sie Mann und Frau,
aneinander gebunden mit einer Liebe
stärker als Hass und Schmerz und Tod.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
EINSTELLUNG-UMSTELLUNG
Sobald Du Dich für wichtig hältst
bist Du es nicht. Macht das Sinn?
Sobald Du Deine Führung spüren kannst
ist sie keine mehr. Denn es macht keinen Sinn.
Du dachtest immer,
Du hast alles selbst bestimmt –
Jetzt willst Du erst recht und wieder
alles selbst bestimmen, und zwar bestimmt.
Es gibt eine unruhige Stunde
die ständig zwischen Frühling und Herbst pendelt
Und bis der Sommer ihn eingeholt hat
ist er weg
Und bis der Winter ihn eingeholt hat
ist er weg
schlafwandelnd umgewandelt
mal im mal gegen den U(h)rzeigersinn.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
HUNDERT EMPFINDUNGEN
Was ist das,
wenn hundert Empfindungen
mein Herz durchwühlen
und tausend Gedanken
meinen Kopf beschäftigen
und doch am Ende
kein Wort mir über die Lippen kommt.
Du schaust mich an und fragst mich
Was ist los?
Woran denkst Du?
Ich schaue Dich an
Ich ringe lang nach Worten
Und antworte Dir dann, ehrlich…:
„Ach… nichts.“
Nichts, was ich in Worte fassen kann.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
