GESELLIGKEIT SCHÜTZT NICHT VOR EINSAMKEIT

Die erdrückende Oberflächlichkeit
eines Lebens ohne Anbindung -
Sprache führt in die Tiefe. Sprachlosigkeit
verspricht ihre eigene Verbindung.
Warum reden, wenn Schweigen
der Schlüssel ist zum Aufsteigen?

Die Leichtigkeit der Bedeutungslosigkeit
ist der schwerste Druck zu ertragen.
Geselligkeit schützt nicht vor Einsamkeit -
Die Nähe der Ferne bringt Unbehagen.
Menschen, die alles zeigen,
wollen etwas verschweigen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ERDBESUCHER

Hier bin ich doch nicht Zuhause
Die Frage ist nicht, ob ich gehen werde
Sondern wann. Eine riesengroße Erde
Voller Heimatlose suchend ohne Pause

Und findend nur mehr Heimatlose
Die wie sie nicht teilen wollen
Eine kleine Erde, die wir alle teilen sollen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

FEBRUAR SPAZIERGANG

Kalt, klar, karg der Tag
eisig braun der Erde
winterberuhigter Belag
mit dünnschichtiger Zierde

Winter will seine Zeit
Frühling drängt schon auch
Wolkengrau im Himmel breit
Tief grün in seinem Bauch

Bin ich Teil dieser Welt
oder Fremder auf Durchreise?
Wenn keiner ein Wort fällt
sind wir ähnlich leise

Bäume stehen menschengleich
schauen gleich, schweigen gleich
Wie so oft im Naturreich
außen hart, innen weich.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VERLANGEN NACH GLEICHART

Von Weitem gekommen
Nicht weit gekommen
Nie ganz angekommen

Den einsamen Weg genommen
Das Fremde angenommen
Keiner hat’s mir abgenommen

Wir sehen doch, was Du bist
Alles andere, was Du auch bist
Ist für uns nur eine List

Wir sehen doch, wie fremd Du aussiehst
Alles Vertraute, was Du auch versprühst
Ist ja weil Du uns verführst

Weiter gegangen
Nicht weit genug gegangen
In Richtung Deinem und meinem Verlangen

Im Nirgendwo gefangen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

HEIMATSPRACHE

Deutsch ist mir eine Fremdsprache
Und ich bin in Deutschland ein Fremder
Fremde sprechen Fremdsprachen
Sonst blieben sie in der Fremde Zuhause
Und das Fremde in ihnen käme nie zur Aussprache.

Es war einmal eine Fremdsprache
Sie begab sich auf Wanderung und in allen,
die sie traf, weckte sie und lockte sie
aus ihren verborgenen Seelenwinkeln
Fremdes hervor und ließ sie einsam zurück.

Einsam und seltsam und neu
in einer Welt mit mehr Fremd- als Muttersprachen.
Je mehr wir teilen, desto fremder werden wir.
Je fremder wir werden, desto vertrauter
kommen wir uns gegenseitig als Menschen vor.

- Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

VIELFÄLTIG

Alles, was eine Weltstadt verträgt:
Alles, was sie nicht versteht,
verträgt sie. Alles, was ihren Boden belegt,
erregt sie, bewegt sie.
Selbst mich –
und das überrascht mich –
selbst ich finde in mitten des vielfältigen Fremden
etwas heimatliches und gleichartiges
und das überrascht mich.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MENSCH IST MENSCH

Wie wirst Du Deutsch
wenn Du Weiß bist
und nicht weißt,
daß Du Weiß bist?

Wie wirst Du Schwarz
wenn Du Deutsch bist
und nicht weißt,
daß Du Deutsch bist?

Wie wirst Du Mensch
wenn Du nur Weiß bist
wenn Du nur Schwarz bist
wenn Du nur Deutsch bist?

Wie wirst Du Deutsch
Wie wirst Du Schwarz
Wie wirst Du Weiß,
wenn Du nur Mensch bist?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

INNENWELTEN

Eine Blume ohne Garten
Kann nur im Herzen als Spiegelbild blühen
Mancher Arten Gleicharten
Suchen vergebens, die auf Erden wühlen
Etwas in Dir wider Erwarten
Ist Deiner Nation und Deiner Rasse und Deinen Schulen
Und Deiner Religion und Allem fremd.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

NAH UND FERN

Wie viel Nähe verträgt die Distanz zum Fremden?
Ich wünsche, ich könnte Dir meine Gedanken so nah bringen,
Du würdest sie für Deine halten. Und so weit entfernen,
Du könntest sie nie mehr berühren oder in sie eindringen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DIE SPRACHE DER FREMDEN

Frag mich nicht warum
Darum liebe ich die deutsche Sprache
Sie ist unerklärlicherweise
Die Aussprache meiner inneren Stimme.

Che Chidi Chukwumerije (25.01.2020)
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
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