Wie lang kannst Du den Atem halten? Lügen kannst Du verwalten, Wahrheit nicht. Wie lang kannst Du die Maske tragen? Das Tote kannst Du begraben, Lebendiges nicht. Du hast als Wachstumszeit nur eine dünne Schicht, bis Deine Schwäche zusammenbricht und Deine Stärke ausbricht. - Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
Masken
FASSADEN
Spieglein, Spieglein, Du bist eine Wand –
Du trennst mich von meinem Innenland.
Hinter meiner Fassade, unsichtbar, wohne ich,
jenseits Deiner Fassade, sichtbar und ohne Dich.
Alles zeigst Du und nichts.
Die Hälfte eines Gedichts,
geraubt seines Gleichgewichts.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
POLITIKBÜHNE
Ich sah vier Politiker –
Als sie die Bühne verließen
verloren sie ihre Masken
Sie redeten von Liebe und Familie
Sehnsucht und Ärger und Natur
Und alle verstanden sie.
Dann bestiegen sie die Bühne wieder
und verloren ihre Gesichter
Sie redeten von Entwicklung und Fortschritt
Klima, Investition und Integration
Und keiner verstand sie mehr.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
GENERATION VERTRAUEN
Kinder werden getestet
Eines Tages geimpft
Mit was
Gegen was
Die Wenigsten wissen es wirklich
Wir vertrauen.
Die Zukunft wird geimpft
Gegen die Vergangenheit?
Oder gegen sich selbst?
Wir vertrauen einer Gegenwart
die keiner wirklich versteht.
Vertrauen ist unser Impfstoff
Gegen Angst
Gegen Fragen
Gegen Halbwissen
Gegen Unsicherheit
Mit wenn und aber. Wir vertrauen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
ERNSTE GESICHTER
Morgen gehe ich hinein in die Welt –
Jedem, dem ich begegne,
schulde ich ein Lächeln. Ihr werdet
es aber nicht auf meinem Gesicht sehen
denn ich habe gelernt: niemals
bin ich nackter
und ungeschützter
als in dem Moment, an dem
ich Dir das immerwährende Lächeln zeige,
das sich hinter meiner Maske verbirgt.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
LUFT
Ich atme Menschen ein
und rieche kein Corona
Meine Lungen dursten wieder nach
Menschen Menschen Menschen,
nach unterer und oberer Gesichtshälfte,
nach Händedruck und Umarmung
Meine Lungen sind leer geworden
Ich habe Lust nach Menschen.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
KOMISCHES VIRUS
In Nigeria gehen die Menschen
Millionenstark protestierend auf die Straßen
Die Zahl der Infizierten steigt nicht…
Wahrscheinlich weil sie sich klugerweise
Nicht gegen das Virus protestieren
Sondern gegen polizeiliche Gewalt –
Das Virus läßt sie dankend in Ruhe.
In Deutschland huschen die Menschen
Brav maskiert überall hin und her
Die Zahl der Infizierten steigt rasant…
Da fällt mir nichts ein
Was das Virus hier damit erreichen will.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
MASKENGEDICHT
Maskenpflicht
Versteckspiel
Zeig nicht Dein Gesicht
Verrat nicht Dein Ziel
Schutzschicht
Oder Lügenpflicht
Unklare Absicht
Und ein ungutes Gefühl.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
INTEGRATION
Kein Mensch wollte mich
deshalb gab ich ihnen Dich
und sie liebten sich
denn Du mein äußeres Ich
spiegelst sie gut bildlich
oberflächlich
und versteckst problemlos mich.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
AN DEN FALSCHEN FREUND
Ich habe Dich durchschaut
Ich weiß, was bei Dir
Unter der Haut liegt
Weiß, was Du über
Meine Haut denkst
Auch wenn von Dir
Kein Laut kommt
Und selbst wenn, sagst
Du es leise, nicht laut
Aber mir sind Deine Gedanken laut
Denn ich habe Dich durchschaut.
Daran habe ich lange gekaut
Und bitter doch lautlos verdaut
Und wenn einst Deine Haut taut
Wird laut, was ich vorher
Durchschaut habe.
Denk nicht, daß es mir davor graut –
Es ist mir schon längst laut
Und vertraut.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
