Wofür war die ganze Zeit? Umsonst? Ich gab Euch meine ganze Zeit Meine beste Zeit Umsonst. Wieviel Zeit habe ich noch übrig? Die Haare werden silbrig Die Stimme einsilbig Da! Dort! In der Ferne! Meine Träume! Meine Sterne! Euch erreiche ich immer noch gerne. Che Chidi Chukwumerije Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
REUE
NICHT DER ERSTE DEZEMBER
Ich frage mich,
wie die Natur das immer macht,
wie die Zeit das jedes Jahr schafft,
ohne Unterlass:
schneller als ich mich verändern kann,
früher als wahrgenommen und erwartet,
der Dezember ist wieder da.
Das waren keine Monate,
die ihm vorausgegangen sind…
waren keine Jahreszeiten.
Das war mein Leben,
das gelebte und das nicht gelebte,
das tief und das oberflächlich erlebte,
und es kommt nie wieder zurück.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DA MUSST DU DURCH
Nichts schwächt
oder stärkt Dich schneller
als eine falsche Entscheidung
Dich tötet danach
sowohl das verbitterte Aufgeben
wie die befreiende Aufarbeitung.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
STUFEN
Als ich es machte,
war es kein Fehler –
Als ich es überdachte,
war es ein Fehler –
Jetzt wo ich älter wär,
und es aus der Ferne betrachte,
ist es kein Fehler mehr.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DAS WESENTLICHE
Papa, Du bist
fast nie Zuhause –
sagte mir heute Morgen mein Sohn.
Aber ich hörte:
Papa, Du bist nie da.
Und ich dachte an die Demos,
dachte an die Arbeit und an die Treffen,
an die Zukunft, die ich ihm bereiten wollte…
Und ich fragte mich:
War es das alles Wert?
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
DAS UNGESCHRIEBENE SCHWINDET WIEDER
Seit zwölf Stunden versuche ich
mich an den Gedanken von gestern Abend
zu erinnern…
Ich habe eine Demo vorbereitet
Ich habe marschiert
Ich habe mich ausgeruht und
Komputerspiele gespielt
Ich bin nun wieder in meinen Kopf eingekehrt
aufgeregt und voller Hoffnung
um die Ecke in mein Gedächtnis hineingeblickt
Doch immer noch fehlt er,
ganz, wie ein Geist –
der schöne tiefe Gedanke von gestern Abend.
– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung
SIE ERTRINKT UND KÄMPFT
Sie war auf der Suche
nach der großen Liebe
Am Ende sitzt sie in mitten
einer großen Familie … alleinerziehend
Vier Kinder sitzen
wie die tiefen Narben ihrer Sehnsucht
auf ihrem Gewissen Tag und Nacht
Eine nimmer endende To-do-Liste…
sich zäh in die Länge ziehend.
Und immer noch schwankt sie täglich
zwischen
Ich habe mein Leben verschwendet
und
Er wird zu mir zurück kehren.
Die Hoffnung, ach, ewig anziehend.
– Che Chidi Chukwumerije (05.02.2020)
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung
BEZIEHUNGSWEISE
„Ich wusste gar nicht
daß Du so prüde bist,“
sagte er ihr mit einem Lachen.
Sie verlor ihr Gesicht,
erlag seiner List,
ließ nach mit ihrem Wachen
und war plötzlich wach!
Öffnete sich eifrig,
floß mit fleißig,
frisch, saftig, fleischig.
Wollte das Gegenteil
beweisen, weil oh weil
– weil was? Schwach weil geil?
Oder geil weil schwach?
Nachdem er Schluss machte
und plötzlich wieder verschwand
aus ihrem unruhigen Liebesleben,
dachte und dachte und dachte
sie nach. Und bis heute fand
sie noch keine Ruhe im Leben.
Jetzt ist sie wirklich wach.
– Che Chidi Chukwumerije (11.01.2020)
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

DIE GESCHICHTE EINER LETZTEN FREIEN NACHT
Laut und versaut
Ist die Braut
Und wurde mit ihrer Einwilligung
In der Nacht gebraucht
Getarnt, von ihrer Maske beraubt
Lautlos geklaut
Und zum Schlachthof gebracht
Jenseits ihrer Grenze
Und mitten in der Party lachend entfacht
Von tausend Gedanken gehalten
Im Schach.
Dort hat sie die letzte Nacht verbracht
Denn das war Brauch
Und am nächsten Tag wurde sie wieder
Maskiert unter lautem Jubel getraut
Ein bitterer Nachgeschmack verstaut im Bauch
Nüchtern und schüchtern
Ob möglich keimender Gerüchte
Ein Geheimnis eingebaut in ihr Leben
Fürs Leben.
Keiner hat‘s durchschaut
Aber sie war allen vertraut
Denn laut und versaut
War die Braut.
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung
WACHSAMKEIT
Irgendwas stört mich
Und ich weiß nicht, was.
Kennt Ihr das?
Ich habe irgendwas falsch gemacht
Mir nichts oder das Falsche dabei gedacht
Und bin zu spät danach aufgewacht –
Ich kann nicht wieder einschlafen…
Und dann verstehe ich:
Ich soll nicht wieder einschlafen!
– Che Chidi Chukwumerije
2019: Jahr der deutschen Dichtung
