SCHLAFLEID

Ob heute Nacht
unter einer Brücke
ein Obdachloser Sehnsucht
nach einem altgeliebten Lied verspürt
und es nur in seinem Gedächtnis
wieder hören kann, denn er hat weder
Handy noch Musikspieler noch Internet,
und er wird nostalgisch, dann traurig,
dann unruhig, nimmt seine sieben Sachen
und sucht sich einen Bahnhof
unter der Erde und dort
auf einer Bank unter dem grellen Licht
hüllt sich in einem dunklen Schlafsack – und schläft – ein…

Ob er, bevor er einschläft,
in seinem Kokon wie eine Raupe,
sein altgeliebtes Lied zu sich singt
und an einen Schmetterling denkt?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

JEDE NACHT

Gute Nacht
Die Seele lacht
Lautlos und sacht
Sie hat die Macht
Jede Nacht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SCHLAFLIED ZUM NACHTZUG

Sie schlief ein
Und wurde wieder Kind
Und wurde wieder Kind während sie schlief

Ihr Körper sackte in sich zusammen
Übergab sich kindlich vertrauend
Dem starken unbequemen Sitz
Und entwickelte eine schutzlose Verletzlichkeit

Dann kam die kleine Nachtmusik
Der Nachtzug trommelte rhythmisch
Zuerst pfiff sie mit, einszweidrei einszweidrei
Doch bald schnarchte sie einsundzweiunddreiundvier
Und der Zug, Begleiter, trommelte weiter.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

AUFGEWÜHLT

Heute bin ich müde
und kann nicht schlafen –
Gestern schlief ich
und war nicht müde.

Heute bin ich reifer
und brauche die Kindlichkeit
Gestern war ich ein Kind
und brauchte mehr Reife

Heute habe ich Essen
doch ich bin nicht mehr hungrig
Jetzt habe ich Durst
denn ich verbrenne innerlich.

Doch ich bin nicht allein
Auch der Planet ist aufgewühlt
und Flüchtlinge irren herum
und die Politik ist verunsichert.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

KINDLICH FRIEDLICH EINSCHLAFEN

Ich möchte wieder
wie ein Kind
Bücher lesen, Lieder
hören, die kindlich sind.

Vaterstimme
Mutterstimme
Innere Stimme
schaukeln die Wiege
in der ich träumend liege…

Augen zu, atme sacht
inneres Kind, gute Nacht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der deutschen Dichtung

NACHTREGEN

Das schöne weiche Geräusch des Nachtregens
Leises Fingertrommeln des Himmelssegens
Gottes Schimmel spielerisch
Galoppieren sanft träumerisch
Ich versuche, liegen zu bleiben – vergebens.

Meine Seele hebt ab zum Mitspielen
Mitempfinden, Mitlachen und Mitfühlen
Im Zauberlicht der Nachtwonne
Heller als die schönste Tagessonne
Und reitet weit mit zu den schönsten Zielen.

Doch, kehrt sie morgen aus den Träumen zurück
Verschwindet die Erinnerung unter dem Druck
Des wiederkehrenden sich Sorgens
Des gut genannten Morgens –
Zurück bleibt nur eine Empfindung von Glück.

Che Chidi Chukwumerije
2019: Das Jahr der deutschen Dichtung

TRAUM

Denn das Schweigen war eine Strasse
Die führte mich durch den Wald
Durch die Nacht genannte Gasse
Auf jedem Schild stand geschrieben: „Bald.“

Dann kamst du herein ins Schlafzimmer
Wo ich lag und atmete kaum
Küsstest sachte mich wie immer
Und ich erwachte aus meinem Traum.

– Che Chidi Chukwumerije.

VERGEBUNG

Er träumte, er trank Feelichter
Aus einer Blumenschwelle
Übersprudelnd mit Lachschorle
Errötende Rosé–Dämmerhelle
Sehnflucht ergriff sein Herz
Es zuckte wie singende Schelle

Dann flog er fort wie Morgenröte
Erhellte jede grübelnde Stelle
Wo Traurigkeit ihn einst getröstet
Erweckte er eine leise Freudenwelle
Durch Vergabe geteilter Weintränen
Aus seiner neuen Sehnsucht Quelle.

– Che Chidi Chukwumerije.

AUFWACHEN

Gestern war’s Hoffnung
Heute Schmerz – oder war’s Reue?
Vorgestern ein Anflug von Panik
Am Morgen davor eine stille, fast traurige, Freude

Dann gab’s just letzte Woche
Jenen wunderbaren Morgen wortloser Gedichte
Wunderbar eben weil
Mein Herz gefüllt war mit Wunder, mit Licht

Im Augenblick des Aufwachens
Übermannt mich stets irgendeine klare Empfindung
Ich liege da und fühle in mir ausklingen etwas
Von dessen Ursprung ich keine Ahnung hab

Doch du bist da mein Ruhepol.
Ein Blick von dir, ein Lächeln, dein Atmen, ein Wort
Deine Stimme ist die Versicherung der Normalität
Beruhigt sanft mein wildes Herz – alles wird gut.

– Che Chidi Chukwumerije.

WANDLUNG

Die Liebe ist ein
Schlafwandler –
Du weißt nicht wo
Du hin gehst, überhaupt daß
Du hin gehst
Trotzdem folgst Du ihr
Vertrauensvoll und blind und wunderst Dich beim
Aufwachen, wie weit
Wie unglaublich weit sie Dich, sie uns,
Gebracht hat.
Was machen wir jetzt?

Che Chidi Chukwumerije.