NACHTSONNE GESUCHT

Zeig mir Sonne, wenn ich schlafe
Die Nacht ist zu dunkel für meine Träume
Hundert Monde reichen nicht aus als Waffe
gegen meine düsteren Erkenntnisbäume
Denn ich sehe aufsteigend wieder den Hass
der auf sein Herrenmenschentum besteht
Die Nacht ist finster, der Traum wird blass
Wo ist die Sonne, die nie untergeht?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ICH HÜTE EINEN TRAUM

Täglich die Welt zu umfassen
Täglich die Welt wieder zurück zu lassen
Täglich zu sein ein Teil der Massen
Ohne zu gehören irgendeiner ihrer Klassen
Was bin ich? Ich hüte einen Traum
Und suche das Land mit dem passenden Raum
Um dort zu pflanzen den Friedensbaum.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

INNIGER GEWESEN

Heute Nacht warst Du in meinem Traum.
Ich habe Dich in einem Haus besucht. Das Hause schimmerte in einer kühlen dunkelgoldenen Farbe, irgendwo zwischen gelb und hellbraun.
Wir waren im ersten Stock in einem großen Zimmer, das sehr ruhig war, geschützt, und vertraut wirkte.
Wir waren ganz allein im ganzen Haus.

Wir haben lang gesprochen, ich weiß nicht genau was. Aber irgendwas in meiner Arbeit beschäftigte mich und Du hast mir geholfen, Ruhe zu finden. Irgendwas beschäftigte Dich auch, jedoch wolltest Du zuerst nicht sagen, was es war. Irgendwann habe ich erraten, daß es mit den 2 Kindern zu tun hatte, und Du meintest Ja und ich habe Dir geholfen, Ruhe zu finden. Aber nur zum Teil.
Es waren zwei verschiedenen Dinge, die uns beschäftigten, nur weiß ich wirklich leider nicht mehr die Details, nur die thematischen Umrissen. Ich sehe uns wie durch ein Glas, miteinander redend. Das Gespräch tat aber sehr gut.

Als wir mit der Konversation fertig waren, nahte der Zeitpunkt, an dem ich wieder gehen musste.
Ich stand auf, Du saßt noch auf dem Bett, mit Deinem Rücken gegen das Kopfteil gestutzt und Deine Beine ausgestreckt. Ich setzte mich rittlings auf Dich, berührte Deine Brüste, dann umarmten wir uns. Dein Wesen erfüllte mich. Ich nahm Dein Gesicht in meine Hände und küsste Dich. Auf Deinem Antlitz lag, wie eine alte Narbe, ein Fragezeichen. Dieser Moment war innig. Dann habe ich Dich genommen und Du bist gekommen. Aber der Blick danach, der ist noch inniger gewesen.

Das Zimmer schimmerte golden und warm, die Nacht witterte den Morgen, wir waren zu zweit und ganz allein.
Doch die ganze Zeit erblickte ich aus dem Augenwinkel die offene Tür, hinter uns an der rechten Seite, durch die ich wieder aus unserem Traum hinaus schreiten würde.

Che Chidi Chukwumerije

ERLEBEN UND VERGESSEN

Kannst Du Dich daran erinnern
als wir einmal vor langer langer Zeit
in Salzburg zu Besuch waren?

(Schweigen)

Wir haben besucht… oder wollten besuchen
ein klassisches Konzert…
Oder habe ich mir das alles nur geträumt?

Ich kann mich nicht daran erinnern

Ich wollte irgendwo finden
wo ich An der schönen blauen Donau
live gespielt hören konnte…
Es kommt mir jetzt wie ein Traum vor…

(Schweigen)

Wie kann man so viel erleben
und so viel vergessen?…

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ICH SAH MICH ZWEIMAL

Ich lief im Dunkeln, im Dämmern
und sah mich zweimal
Einmal auf, einmal neben
der Straße ohne Erinnerung

Dann lief ein Mann auf mich zu
lächelte und führte mich zurück
zu seinem Cajon wo es auf der Schwelle heller war
Er fing an, spielend ein Lied weiter zu singen

Ich blieb zweimal stehen
Einmal auf der Brücke
Einmal neben der Brücke
Ich hörte, genoss und verinnerlichte seine Musik

Dann bin ich aufgewacht aus dem Traum
Das Lied spielte weiter in meinem Kopf
als wäre es meins und ich frage mich,
Habe ich dieses Lied jetzt komponiert oder nicht?

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

NICHT

Ich kann ein Land nicht verlassen
In dem ich nie gelebt habe
Ich kann Augen nicht vergessen
An denen ich einmal geklebt habe
Ich kann einen Traum nicht wegschmeißen
Egal ob ich ihn jemals angestrebt habe
Oder nicht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

HESSISCHE WÄLDER

Was willst Du mir sagen
Hessische Nacht?
Der Wald ist zu alt für mich
Ich verstehe ihn nicht
wenn er flüstert, wenn er träumt,
wenn er schweigt oder lacht.

Der Neuschnee ist uralt.
Meiner tiefen Empfindung Gewicht
beschäftigt lehrend mich –
Ich habe es nicht ausgedacht:
Ein fremder Geist spricht durch mich
in meinem jeden Gedicht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

TRAUMWEG

Neulich entdeckte ich einen Pfad,
der durch mein Gedächtnis lief –
Er schien eine Erinnerung zu wecken,
die schon lange in mir schlief
und nun nach mir leise rief.

Neugierig folgte ich dem Pfad
im Gedächtnis und es lichtete sich
nur langsam mit jedem vorsichtigen Schritt.
Sein unbekanntes Ziel blieb nebelig,
mir so verschleiert wie mein altes Ich.

Ich lag im Bett, Augen zu, still
und lief im Gedächtnis immer weiter –
Plötzlich sah ich vor mir stehend, und
hörte … ein Pferd, eine Stimme, ein Reiter:
Folgst Du dem Weg oder dem Wegbereiter?

Der Pfad verschwand aus meinem Kopf
und die Frage nahm seinen Platz.
Ich erwachte aus meinem Tagtraum
und wiederholte mehrmals diesen Satz
und hütete es in meinem Herz wie einen Schatz.

– Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DAS ANDERE UFER

Silbrig wie ein Spiegel
lag und lauschte der Fluß da
regungslos wie ein unerfüllter Traum
verschwand er in die Ferne
und war immer noch da

Eine Nebelwolke schwamm über das Wasser
wie eine Armee von Laufboten
nur verstand ich ihr Geflüster nicht
bis sie seufzend sich löste und ich sah
auf dem anderen Ufer mein zweites Ich.

Ich sprach zu mir
doch ich hörte mich nicht
von der anderen Seite des Flusses –
Wir starrten uns wortlos an, ich und ich,
getrennt durch unerfüllte Träume.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

TAG

Jeder Tag ist der Anfang
des Lebens und sein Ende.
Es gibt keine Ewigkeit
Es gibt keine Unendlichkeit
Es gibt nur Tag und Nacht
Und sie ergänzen sich
Wie Du und ich.

Es gibt keine Ewigkeit
Es gibt keine Unendlichkeit
Es gibt nur Tag und Nacht.
Den Traum
Und das Streben danach,
Ihn wahr werden zu lassen,
Jeden Tag Du und ich.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung