ERKENNTNISSE EINES HERUMREISENDEN

Wir gehen runter
und tauchen auf -
Jede Altstadt wird bunter
beim neuen Umlauf.

Die Strassenstimmen
in unterschiedlichen Sprachen -
Und dennoch, sie stimmen,
ob sie weinen, ob sie lachen,

stimmen sie überein
mit allen Strassenstimmen weltweit.
Die innere Stimme ist niemals allein
Inmitten der Menschheit.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

AM UFER EURER INNENRÄUME

Ich wiederhole Worte
in der Hoffnung,
sie werden Euch etwas erklären
unabhängig vom Gedicht,
in dem sie eingebettet sind -
Die Gedichte sind nur Fähren.
Immer wieder landet
zum Beispiel die Empfindung,
einer von vielen blinden Passagieren,
am Ufer Eurer Innenräume.
Was danach passiert, werde ich
nur in meiner Empfindung erfahren.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DER GRÖSSTE BEITRAG

Egal was
Du verlierst
Dabei kaputt geht
Die äußeren Umstände sind

Verleugne nie
Verrate nie
Ignoriere nie
Deine innere Stimme

Glaube ihr
Folge ihrer Anweisung
Weiche nicht davon ab
Bleibe ihr treu, standhaft

Dies ist der grösste Beitrag
Zur Weiterentwicklung
Der Gesellschaft
Der Menschheit

Größer als Politik. Es ist
Größer als Wirtschaft. Es ist
Größer als Technik. Es ist
Der Schlüssel zum Menschsein.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

WIR BEGEGNEN UNS

Wir begegnen uns
Zwischen den Zeilen von Chatgruppen
Überspringen mit jedem Smiley
Eine Fülle von Sätzen, die
Den Punkt nicht treffen -
Worte wollen gehört werden
Nicht nur gelesen
Gesichter wollen gesehen werden
Nicht nur als Smiley vorgetäuscht
Menschen wollen getroffen werden
Äußerlich - und innerlich.
Trennt uns Farbe oder vereint uns Menschentum?
Spaltet uns Kultur oder einigt uns Gesellschaft?
Geschlecht, Kastengeist, Wohlstand,
Behinderung, Orientierung, Bildung,
Glaube. Was glaubst Du? Trennen uns
Tausend Unterschiede oder verbindet uns
Eine gemeinsame Innere Stimme, die
Weder mit Ton noch mit Händen spricht
Und dennoch immer laut ist,
Immer da ist? Zwischen uns.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SCHWEIGSAM

Die Worte werden zu viel
Meine Seele ist am Limit
Sie kommen zu schnell
Ich komme kaum mehr mit
Sie tönen so laut
Ich kann sie kaum mehr verstehen
Wenn ich schweig, flutet
meine innere Stimme mich mit Ideen.

Che Chidi Chukwumerije 
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

MORGEN VIEL LEICHT

Ich spüre den Morgen in der Luft
aber er ist nirgend in Sicht,
ich finde ihn nicht.

So wie ich Dich in mir spüre
und finde Dich nicht,
meinen Sonnenschein, mein Licht.

Doch es schwebt schon der Morgenduft;
Ob aus Passion oder aus Pflicht
zeigt der Morgen täglich sein Gesicht.

Du aber schreitest nie durch die Türe
in meinem inneren Dickicht –
außer ab und zu als Gedicht.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

ORAKEL

Du brauchst
die Pausen
zwischen
den Unterhaltungen

In den Pausen
hörst Du die Dinge im Nachhinein
die Du während der Unterhaltung
überhörtest

Ähnlich wie die Nacht
den Tag erklärt –
In der Pause
ist das Orakel zu Hause.

Schenk mir Distanz zu Deiner Nähe
Gönne mir Pausen
Du bist zu laut hier drinnen –
Ich verstehe Dich nur von da draussen.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

LAUTER UND IMMER LAUTER

Mein Neujahr fängt nicht mit Feuerwerk an,
sondern mit Schweigen und innerem Glockenklang –
lauter in meinem Ohr als jeder Gesang –

nicht mit Feiern und Lachen und Reden,
sondern mit Nachdenken und Sinnen –
das, womit ernste Dinge immer beginnen.

Denn die Welt wird lauter und immer lauter,
und Jahr für Jahr frage ich mich subtil,
was sie wohl übertönen will.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

SELBSTGESPRÄCHE

Diese Gespräche abends
mit Erinnerungen in meinem Herzen
mit Hoffnungen, mit Sehnsüchten,
mit Reue und Nachdenken und Schmerzen.

Gespräche mit toten Freunden
mit Vorstellungen und Möglichkeiten
mit ner leeren Leere in Deiner Mitte
mit alternativen Selbstdarstellungen

mit Menschen, die weit weg sind
mit Träumen, die nie weg waren
mit dichten Gedanken und losen Empfindungen
Diese abendlichen Selbstgespräche

Für sie lohnt es sich, zu leiden
zu lieben, zu leben, zu verlieren –
Denn in diesen Momenten hörst Du,
hervorgelockt, Deine innere Stimme.

Che Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung

DER INNERE ADVENT

Nie war der Hass so widerlich
so leicht zu erkennen
als wenn er mit Lachen und Lächeln
sich plump zu verschleiern suchte

Nie war die Liebe so tief
so schwer zu erkennen
als wenn sie mit Wahrheit und Strenge
das zarte Gute beschützte

Denn nur das innere Auge erkennt
hinter dem Seelenfenster
das Herz, in dem der wahre Advent
wie eine kleine warme Kerze
ruhig und lautlos brennt.

Che Chidi Chukwumerije
Im Jahrzehnt der Deutschen Dichtung